Bild: Ich hab mir die Zehen zu annehmbaren Preisen von ortofortunato.com schicken lassen, wo sich weitere interessante Regionalprodukte finden, wie Salami und Knoblauch-Schafskäse.
Ein erster Eindruck
➡️ Ich hatte es schon lange vor, ein paar Zehen des toskanischen Aglione-Knoblauchs zu bestellen – jenes Knoblauchs, über den im Internet erstaunlich viel geschrieben wird, wenn man erst einmal den Blick dafür hat. Nun ist es so weit. Das Päckchen liegt vor mir, und ich möchte prüfen, was an all den Lobgesängen über diesen „Wunderlauch“ wirklich dran ist.
Allerdings soll es im heutigen Blogartikel erst einmal um eine Vorstellung des Aglione gehen. Und gleich vorweg – ohne den besonderen Eigenschaften dieser Sorte etwas abzusprechen: Meine Vermutung ist, dass hinter seiner heutigen Popularität ein ausgesprochen geniales Vermarktungskonzept steckt, das man hierzulande wohl kaum so elegant inszenieren würde. Das soll ebenfalls thematisiert sein.
Stell dir also eine Knoblauchzehe vor, so groß wie eine Walnuss – ohne stechenden Geruch, ohne Schärfe, dafür mit einem fein süßlich-nussigen Aroma. Und vor allem: ohne jene sonst üblichen Ausdünstungen nach dem Genuss. Es ist, wie die Italiener sagen, ein Aglio del Bacio – ein Kuss-Knoblauch, der das Hauptproblem anderer Knoblauchsorten schlicht aushebelt.
Was Aglione eigentlich ist
Der Aglione (Aglio Elefante oder Aglione della Valdichiana) ist keine modische Neuzüchtung, sondern eine alte Lokalsorte aus der Valdichiana – jener weiten, fruchtbaren Ebene, eingerahmt von sanften, bewaldeten Hügeln, die den Übergang zwischen Toskana und Umbrien bildet.

Botanisch gehört Aglione zu Allium ampeloprasum var. holmense – eine Verwandtschaft, die der englischen Bezeichnung „Elephant Garlic“ zugrunde liegt und wohl auch ein wenig auf das grobe Trampeltier-Aroma hinweisen soll.
Die eigentlichen „edlen“ Knoblauchformen gehören bekanntlich zu Allium sativum, insbesondere zu dessen Varietät ophioscorodon, den wir als Hardneck- oder Schlangenknoblauch kennen und der in der gehobenen Küche als Soloknoblauch beliebt ist. In diesem Lichte wirkt es schon bemerkenswert, dass ausgerechnet der Aglione als besonders aromatisch positioniert wird.
Meine erste Kostprobe bestätigt allerdings tatsächlich eine feine, milde Aromatik – ganz ohne die aufdringliche Schärfe der klassischen Zehen – andererseits mit echtem Knoblauchgeschmack, der den Allium-ampeloprasum-Varietäten selten zueigen ist.

Eine vollständige Zwiebel soll um die 300–600 Gramm erreichen, gelegentlich sogar ein Kilo [1], und besteht aus wenigen, aber beeindruckend großen Zehen.
Der entscheidende Unterschied liegt im Chemischen: Aglione enthält deutlich weniger Allicin – jenes schwefelhaltige Molekül, das Schärfe und Knoblauchatem hervorruft. Daher sein mild-süßer Geschmack, der sogar roh in Scheiben auf Bruschetta eine gute Figur macht – ohne soziale Folgewirkungen.
Als reginale Sorte ist Aglione besonders resistent gegen Pilzkrankheiten und Parasiten (vermutlich nur dort), was es ideal für Bio-Anbau macht – und in der Regel wird er auch so angebaut.
Fast verschwunden – und dann ein Comeback
Diese Sorte stand lange am Rand des Verschwindens. In den 1980er- und 90er-Jahren galt ihr Anbau als unwirtschaftlich: zu große Knollen, zu geringe Erträge pro Fläche, zu lange Wachstumszeit. Erst einige unbeirrbare Landwirte sowie die Slow-Food-Bewegung in Orten wie Città della Pieve, Cetona und Sarteano hielten am Aglione fest.
Seit etwa 2015 erlebt er ein Comeback – getragen von Manufakturen, Feinkosthändlern und einer geschickt erzählten regionalen Identitätsgeschichte. Nicht alles daran ist frei von Marketing-Poesie, wie oben angedeutet, doch das schmälert seine tatsächliche kulinarische Qualität nicht.
Besonders clever finde ich die Idee, das Aroma der Zehen mit einer lokalen Pastatradition zu verknüpfen.
Gemeint sind die Pici all’aglione – handgerollte, dicke Nudeln (ich würde sie entfernt mit Spätzle vergleichen) in einer schlichten Tomatensauce aus Aglione, gut gereiften Tomaten, Olivenöl und manchmal etwas Chili. Kein Basilikum, kein Parmesan – eine fast asketische Komposition, die gerade dadurch funktioniert.
Und wie könnte eine solche Pasta ohne Wein gedacht werden? Natürlich nutzt man auch hier das volle Repertoire der Region. Die Valdichiana selbst zählt nicht zu den ganz großen Weinzentren, profitiert aber von ihrer Lage inmitten bedeutender Anbaugebiete – und, wie mehrfach erwähnt, von einer beeindruckend konsequenten Vermarktungsstrategie.
Zu den wichtigsten Premium-Weinen, die das Image des Aglione mittragen, gehören:
Vino Nobile di Montepulciano DOCG
Ein traditionsreicher, prestigeträchtiger Sangiovese-Rotwein aus der Stadt Montepulciano am Ostrand der Valdichiana.

Chianti Colli Senesi DOCG
Die dem Gebiet nächstgelegene Chianti-Subzone, klassisch, säurebetont und sehr passend zu Tomaten-Aglione-Saucen.
Cortona DOC
Direkt in der Valdichiana gelegen; bekannt für moderne Rotweine – insbesondere Syrah – und interessante Weißweine.
Diese Weine schaffen jenes Premium-Umfeld, das den Aglione aus der Welt des schlichten Gemüses in das kulinarische Erzählsegment hebt.
Noch eine geniale Beobachtung zum Schluss
Nun komme ich aber noch einmal auf den Knoblauch zurück – inklusive auf das Vermarktungsfonzept.

Eine weitere Besonderheit in der Valdichiana-Region besteht darin, dass dort die Knoblauch-Bauern die Zwiebeln vollständig ausreifen lassen – und genau bei der reifung liegt beim Anbau allgemein eine gewisse Schwierigkeit.
Üblicherweise lässt man herkömmliche Sorten nicht zu lange reifen, damit die schützende Zwiebelhaut, also jene Umhüllung, die wir vom Küchenknoblauch her kennen, erhalten bleibt. Reifen die Zwiebeln länger, reißt diese natürliche Verpackung der Knoblauchknollen auf, was im Handel allerdings nicht erwünscht ist.
Bei der italienischen Variante hingegen lässt man die Zehen länger ausreifen, was deren natürliche Haltbarkeit verbessert. Gleichzeitig lassen sich die großen Zehen einzeln herauslösen und als Stückware bestens verpacken und versenden. Diese scheinbare Nebensächlichkeit ist äußerst sinnvoll und zweckmäßig – und genau deshalb bewundere ich immer wieder die Genialität dieser Vermarktungsidee.
Fazit
Aglione ist weit mehr als bloß „großer Knoblauch“. Er verbindet eine alte Sorte, ein beinahe verlorenes Kapitel regionaler Landwirtschaft und – ja – eine bemerkenswerte Portion erzählerischer Finesse.
Für meinen Teil folgt nun die subjektive Qualitätskontrolle, über die ich sicher noch berichten werde. Und natürlich wäre jedem Leser geraten, selbst einmal den Versuch zu wagen.
Und vielleicht gelingt es ja auch hierzulande eines Tages, ähnliche Konzepte in unseren Market-Garden-Projekten zu verwirklichen – nicht durch ein bloßes Kopieren des Aglione-Modells, sondern durch etwas weit Wertvolleres: die Kunst der Findigkeit selbst. 🧄
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[1] Die kiloschweren Varietäten sind sicher nicht diejenigen für den professionellen Anbau.
- https://www.italybite.it/de/blog/ post/Toskanischer-Aglione-Knoblauch-Geschichte-und-Rezepte.html
- https://www.itstuscany.com/de/knoblauch-im-valdichiana/
Bildquellen
Landschaftsbild, ©PMM, 2015
https://commons.wikimedia.org/wiki/File: Valdichiana_panorama.jpg
Rotwei Vino Nobile di Montepulciano, ©Capsellanaut, 2018
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vino_nobile_di_montepulciano_2013.jpg