Bild: Machiavelli · Gesammelte Werke – eine Ausgabe von 2008, die sich durch ihr detailliertes Inhaltsverzeichnis auszeichnet [1].
➡️ Der Florentiner Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (1469–1516) gilt als Renaissance-Humanist und politischer Realist, der Politik von moralischen Idealen und theologischen Dogmen zu trennen suchte.
Er selbst verstand sich jedoch weniger als Philosoph im klassischen Sinn, sondern vielmehr als Praktiker der Staatskunst. Aus der Geschichte – vor allem der römischen Antike – und aus zeitgenössischer Erfahrung zog er Lehren für die Machtpraxis.
➡️ Auch heute gehört „der Machiavelli“ in eine gut sortierte Hausbibliothek – nicht unbedingt, um ihn von vorn bis hinten durchzulesen, sondern um bei Bedarf auf ihn zurückzugreifen. Etwa dann, wenn wir in der Gegenwart Politikerinnen und Politikern begegnen, denen man beharrlich Lügen vorwirft. Man könnte annehmen, dass diese schlicht dem zynischen Rat des Florentiner Realisten folgen.
Da Machiavellis Gedanken am besten an Beispielen sichtbar werden, gehe ich im Folgenden direkt auf den Zusammenhang von Politik und Lüge ein. Eine ausführliche Besprechung der Gesamtausgabe habe ich in die Fußnote [2] verlegt.
Warum Versprechen brechen?
Machiavellis berühmte These, ein Fürst dürfe Versprechen brechen, wenn es dem Machterhalt diene, entstammt seiner nüchternen Sicht der menschlichen Natur, wie er sie im Principe (besonders Kapitel XVIII) darlegt. Menschen seien nicht durch Moral oder Loyalität bestimmt, sondern durch Eigeninteresse.
Eigennutz als Triebfeder
Nach Machiavelli strebt der Mensch in erster Linie nach persönlichem Vorteil:
- Macht,
- Reichtum,
- Sicherheit,
- Status oder schlicht
- unmittelbarem Nutzen.
Weil diese Eigeninteressen vorrangig sind, werden Versprechen und Bündnisse gebrochen, sobald es opportun erscheint.

List statt Moral
Daraus folgt: Das bewusste Brechen von Versprechen oder das Täuschen – etwa Tugend zu heucheln, ohne tugendhaft zu sein – ist keine bloße Selbstsucht, sondern eine strategische Notwendigkeit. Denn auch andere handeln eigennützig. Der Fürst muss daher wie ein „Fuchs“ agieren: listig, vorausschauend und manipulierend, um die Interessen anderer zu neutralisieren. Täuschung wird so zum Werkzeug der Macht, nicht zum moralischen Fehltritt.
Realität
Die Politik ist, so Machiavelli, kein Ort des Vertrauens, sondern der Intrigen. Wer an die ehrliche Bindungskraft von Versprechen glaubt, wird früher oder später ausgenutzt. Ein Herrscher, der diese Realität ignoriert, setzt seine Macht aufs Spiel.
Pragmatismus
Weil Menschen unzuverlässig sind, muss auch der Fürst pragmatisch handeln. Versprechen zu brechen ist dann gerechtfertigt, wenn es die eigene Position sichert. Es ist eine Art präventive Anpassung: Wer nicht täuscht, riskiert, selbst Opfer der Täuschung zu werden.
Beispiel aus seiner Schrift „Il Principe“
Machiavelli rät, der Fürst solle nach außen den Anschein der Ehrlichkeit wahren, zugleich aber jederzeit bereit sein, unredlich zu handeln. Als Vorbild nennt er etwa Ferdinand von Aragon, der durch Täuschung und Vertragsbruch seine Macht festigte.
Fazit
Politik ohne Illusionen
Kurz gesagt: Weil Menschen überwiegend eigennützig handeln, ist Vertrauen in der Politik oft eine Illusion.
Merksatz: Jegliches Vertrauen in Politikerinnen und Politiker ist oft trügerisch [3]. Ihr Handeln folgt nur selten dem Gemeinwohl, sondern meist ihrem eigenen Vorteil – etwa
- zur Sicherung und Ausweitung ihrer Macht,
- zur Bereicherung oder persönlichen Vorteilnahme,
- zur Wahrung ihres Status oder Ansehens,
- oder schlicht im Interesse einer unmittelbaren, korrumpierenden Nutzwirkung (Temporal Discounting)[4].
So lehrt uns Machiavelli – unser Renaissance-Humanist, der zugleich zeigt, dass „Humanismus“ auch eine ernüchternde, illusionslose Sicht auf den Menschen einschließen kann.
Der Herrscher, der Erfolg haben will, muss diese bittere Realität akzeptieren. Und ebenso der Leser: Nur wer sich von Illusionen verabschiedet, läuft nicht Gefahr, von der Selbstsucht und Berechnung anderer überrumpelt zu werden.
Weitere Bemerkungen und Quellen
[1] ULFIG, Alexander Dr. (Herausgeber); Niccolò Machiavelli · Gesammelte Werke in einem Band; Neu-Isenburg 2008
[2] Die Gesammelten Schriften Machiavellis bieten einen umfassenden Einblick in das Werk eines der einflussreichsten politischen Denker der Renaissance. In mehrbändigen Ausgaben – etwa der von Hanns Floerke 1925 im Georg Müller Verlag herausgegebenen Edition – finden sich Il Principe (Der Fürst), die Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, die Komödie La Mandragola, Dell’arte della guerra (Über die Kriegskunst), die Geschichte von Florenz, Gesandtschaftsberichte, Briefe sowie die Novelle Belfagor.
Die Sammlung zeigt Machiavellis Scharfsinn im Blick auf Macht, Politik und menschliche Natur. Während Il Principe als zynische Anleitung für Herrscher berüchtigt ist, beweisen Werke wie La Mandragola oder Belfagor seine literarische Vielseitigkeit. Bis heute polarisiert er: Die einen sehen in ihm den Begründer der modernen Politikwissenschaft, die anderen einen skrupellosen Machtpolitiker. Sicher ist: Machiavelli war ein brillanter Beobachter menschlichen Verhaltens, der die Kluft zwischen Ideal und Realität schonungslos benannte.
[3] FISCHER, Malte Fischer; nzz.ch; Alice Weidel attackiert Friedrich Merz: «Sie sind schon jetzt der Lügenkanzler, dessen Wortbruch ganze Kataloge füllt»; 09.07.2025
[3b] tagesschau.de; Baerbocks Lebenslauf · Das Netz vergisst nicht; 7.6.2021; «Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock hat ihren Lebenslauf „angepasst“. Zuvor waren Berichte über ungenaue oder falsche Details aufgetaucht. In Webarchiven lassen sich solche Änderungen nachvollziehen.»
[4] Present Bias oder Temporal Discounting (Verhaltensökonomie): die Tendenz, unmittelbare Belohnungen überzubewerten und langfristige Interessen zu vernachlässigen.
Thomas Jacob, 4.8.2025