Allgemeines Illustriertes Gartenbuch von H. Jäger (4. Auflage) 1882 und Gedanken zur antiken Klimatheorie

Illustriertes Gartenbuch von H. Jäger

Bild: Illustriertes Gartenbuch von H. Jäger (4. Auflage) 1882 in meiner kleinen Gartenbibliothek

Hermann Jägers Illustriertes Gartenbuch von 1882 ist mehr als ein historisches Nachschlagewerk – es zeigt, wie tief verwurzelt gärtnerisches Wissen einst im Verständnis von Landschaft und Klima war. Eine Perspektive, die heutigen Konzepten wie der Permakultur überraschend fehlt.

Hermann Jägers Klassiker

Hermann Jäger (1815–1890) war ein deutscher Gärtner, Botaniker und ein einflussreicher Gartenbau-Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Als königlicher Garteninspektor in Hannover zählte er zu den maßgeblichen Fachautoren seiner Zeit. Sein bekanntestes Werk, das Illustrierte Gartenbuch, erschien in mehreren Auflagen und wurde zu einem Standardwerk der Gartenliteratur.

Hermann Jäger Portrait
Hermann Jäger (1815–1890) [2]

Die vierte Auflage – ein Meisterwerk auf 800 Seiten

Die besonders umfangreiche vierte Auflage von 1882 gilt als Höhepunkt seines Schaffens. Auf rund 800 Seiten vermittelt Jäger fundiertes, praxisnahes Wissen über nahezu alle Bereiche des Gartenbaus – von der Zierpflanzenkultur über Obst- und Gemüseanbau bis hin zu Gehölzschnitt, Unterglasanbau, Bodenkunde, Düngung und Pflanzenschutz. Zahlreiche Illustrationen veranschaulichen die Inhalte eindrucksvoll.

Zwischen Praxiswissen und botanischer Genauigkeit

Jäger verstand es, botanische Präzision mit praktischer Anleitung zu verbinden. Sein Werk richtete sich nicht nur an Fachleute, sondern auch an ambitionierte Laien – an Gartenfreunde in Hausgärten, auf Landgütern und selbst im urbanen Raum.


Ein Buch mit bleibendem Wert

Heute wird Jägers Gartenbuch nicht nur als kulturgeschichtliches Dokument geschätzt, das einen tiefen Einblick in die Gartenpraxis und das Pflanzenwissen des 19. Jahrhunderts gewährt. Für mich persönlich ist es mehr: ein nach wie vor aktuelles Kompendium nützlichen Gartenwissens. Denn im Kern hat dieses Werk wenig an Gültigkeit eingebüßt.

Gartenbau im 19. Jahrhundert: produktiv – ohne Chemie

Diese Aktualität beruht vor allem auf der Wissensbasis jener Zeit – einer Epoche, in der man gezwungen war, mit den vorhandenen Mitteln außerordentlich produktiv zu wirtschaften. Einerseits galt es, die rapide wachsenden Städte und Industriezentren mit Lebensmitteln zu versorgen; andererseits standen agrochemische Mittel und moderne Agrotechnik im Gartenbau noch in den Kinderschuhen.

Man musste also erzwungenermaßen bio-produzieren und man konnte es auch.

 

Illustriertes Gartenbuch

Die vergessene Naturverbundenheit

Was bei der Betrachtung der damaligen gärtnerischen Techniken besonders auffällt – und heute kaum noch bewusst ist – ist die tiefe Naturverbundenheit, auf der das Gärtnern beruhte. Es war ein Wirtschaften im Einklang mit Landschaft, Klima und Boden.

Kritik an der heutigen Permakultur: Es fehlt die Gesamtschau

Und genau hierin liegt eine bemerkenswerte Differenz zu heutigen ökologischen Bewegungen: Selbst im Bereich der Permakultur, der oft als besonders naturnah gilt, fehlt häufig diese umfassende, landschaftsbezogene Gesamtschau.

Die feinsinnige Berücksichtigung örtlicher Klimata, Bodenbeschaffenheiten und hydrologischer Gegebenheiten tritt dort allzu oft hinter schematische Entwurfsprinzipien zurück – das muss, bei aller Wertschätzung, kritisch angemerkt werden.


Landschaft lesen lernen – wie einst

In Jägers Illustriertem Gartenbuch – wie in vielen gärtnerischen Fachbüchern des 19. Jahrhunderts – wird den natürlichen Gegebenheiten einer Anbaufläche höchste Aufmerksamkeit gewidmet. Fragen nach der Lage eines Gartens im Hinblick auf Windrichtungen, Lichteinfall, Höhenlage und Hangausrichtung werden sorgfältig behandelt.

Auch Bodenarten, Untergrundverhältnisse, Wasserverfügbarkeit und Entwässerung werden differenziert betrachtet. Kurz: Es zeigt sich das Bestreben, den Gartenbau nicht gegen, sondern mit der Natur zu gestalten – angepasst an Klima und Mikroklima.

Antike Klimatheorie als geistiger Hintergrund

Diesen Gedanken möchte ich hier stehen lassen – und zum Abschluss noch auf eine tiefer liegende geistige Strömung hinweisen, die in Jägers Werk, wenn auch nur in Resten, noch spürbar ist: die antike Klimatheorie. Schon Hippokrates vertrat in seiner Schrift „Über die Lüfte, Wasser und Örtlichkeiten(Peri Aerōn, Hydatōn, Topōn) die Vorstellung, dass Klima, Boden und Wasserquellen nicht nur das Pflanzenwachstum, sondern auch den Charakter, Sprache und die Gesundheit der Menschen prägen.

Vitruv, Landschaft und Lebenskunst

Diese Idee wurde später von römischen Autoren wie Vitruv aufgegriffen. In seiner Architectura betont er, dass die Wahl eines Bauplatzes – etwa für ein Landgut – in Harmonie mit Natur und Mensch stehen müsse: praktikabel, ästhetisch und gesundheitsfördernd zugleich.

Antike Bauplanung

Eine Schule des Sehens – nicht nur ein Gartenbuch

Diese antike Denkweise – eine Synthese aus Naturbeobachtung, Lebenskunst und funktionaler Gestaltung – klingt für mich im 19. Jahrhundert noch leise nach. Und sie bleibt auch heute aktuell, wenn es darum geht, Natur nicht nur zu nutzen, sondern auch zu erspüren. Denn wer das Wesen eines Ortes verstehen will, muss wissen, wo er hinschauen – und hinhören – muss.

Wer dazu bereit ist, wird in Hermann Jägers Gartenbuch nicht nur ein Fachbuch, sondern eine Schule des Sehens und Denkens finden.

Ergänzungen

[1] Online lesen (Internetarchive) Allgemeines Illustriertes Gartenbuch von H. Jäger

[2] Hermann Jäger, ein Nachruf in der Gartenflora

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