(KI-Bild) Ralph Nelson Elliott (1871–1948). Seine Börsentheorie halte ich für einen nützlichen Wissensschatz, den jeder im Tresor haben sollte.
Eine Einführung ins Börsenwissen für Interessierte.
📈 Spätestens seit der Ausarbeitung meines Arbeitspapiers zum Rentensystem der USA, in dem ich darlegte, dass viele Amerikaner ihre ergänzende Altersvorsorge vorzugsweise in Aktien investieren, hatte ich mir vorgenommen, einmal grundsätzlich über das Investieren und Spekulieren an der Börse aufzuklären.
Besonders mit Blick auf Deutschland erscheint mir das notwendiger denn je. Denn hierzulande fehlt – quer durch sämtliche Bevölkerungsschichten, einschließlich Politik und Medien – ein grundlegendes Verständnis für die Kultur der Kapitalmärkte.
Ein typisches Beispiel dafür: Sobald der Aktienmarkt plötzlich einmal fällt, geht ein medialer Aufschrei durch die Berichterstattung. Und wie sollte es anders sein: Derzeit werden die Kursbewegungen natürlich mit der aktuellen US-Politik in Verbindung gebracht [1]. Wer jedoch auch nur ansatzweise die Mechanismen der Finanzmärkte versteht, weiß:
Die Märkte folgen anderen, tieferliegenden Gesetzmäßigkeiten und nur sehr selten irgendeiner aktuellen Politik. Und: Die relative Präzision solcher Vorhersagen verweist auf etwas Bemerkenswertes – und führt uns direkt zu einem Mann, dessen Leben und Denken wie kaum ein anderes mit dem Versuch verbunden ist, Ordnung im scheinbaren Chaos der Märkte zu entdecken.
Eine dieser Gesetzmäßigkeiten – oder sagen wir besser: ein Versuch, diese zu entschlüsseln – ist die sogenannte Elliott-Wellen-Theorie.
Eine Theorie aus dem Krankenbett: Ralph Nelson Elliott
📈 Ralph Nelson Elliott – ein Name, den man in der Welt der Finanzmärkte kennt, aber selten hinterfragt. Geboren 1871 in den Vereinigten Staaten, war er zunächst kein Börsianer im klassischen Sinne. Er arbeitete als Buchhalter, Unternehmensberater, war beruflich viel in Mittelamerika unterwegs – ein nüchterner Zahlenmensch, wie man meinen könnte.
Doch dann kam der Bruch. In den 1930er-Jahren erkrankte Elliott schwer – vermutlich an einer chronischen Darminfektion oder einer bakteriellen Tropenkrankheit, die ihn für Jahre ans Krankenlager fesselte. Was für viele eine Zeit der Resignation gewesen wäre, wurde für Elliott zu einer geistigen Wiedergeburt.

Eingeschlossen in einem schwachen Körper, aber gesegnet mit einer ungebrochenen Neugier und einem scharfen analytischen Verstand, wandte er sich einem neuen Gegenstand zu: den Aktienmärkten.
Nicht aus Gier, nicht aus beruflichem Kalkül – sondern aus dem schlichten Bedürfnis, seinen Geist zu beschäftigen. Und vielleicht auch, um in einer Welt, die für ihn physisch aus den Fugen geraten war, irgendwo ein Muster, eine Ordnung zu erkennen.
Die Entdeckung der Wellen
Elliott begann historische Kursverläufe zu studieren – bis zu 75 Jahre zurückreichend. Dabei fiel ihm auf: Die Bewegungen der Kurse waren nicht rein zufällig, nicht bloß das Ergebnis von Nachrichten und Entscheidungen, sondern schienen einer inneren Struktur zu folgen. Zyklische Bewegungen – auf und ab, wie Wellen auf dem Meer. Regelmäßig, aber niemals identisch. Wiederkehrend, aber nicht mechanisch.
Er glaubte: Diese Wellen sind Ausdruck kollektiver menschlicher Stimmungen – Hoffnung, Gier, Furcht, Enttäuschung. Die Märkte sind keine Maschinen, sie sind psychologische Spiegelbilder der Gesellschaft.
1938 veröffentlichte er seine Erkenntnisse unter dem Titel The Wave Principle und formulierte seine zentrale These:
„Der Markt folgt einem Rhythmus – und ich habe ihn entdeckt.“
Was sind Elliott-Wellen?
📈Im Kern beschreibt die Elliott-Wellen-Theorie einen wiederkehrenden Zyklus aus acht Wellen, der sich auf allen Zeitebenen beobachten lässt. Fünf dieser Wellen verlaufen in Richtung des übergeordneten Trends – die sogenannten Impulswellen. Drei weitere bilden die Korrekturphase.

Die fünf Impulswellen (1–2–3–4–5); signifikante Aufwärtsbewegung:
- Welle 1: Erste Kursgewinne, getragen von den frühen Käufern.
- Welle 2: Gewinnmitnahmen führen zu einem Rücksetzer.
- Welle 3: Der Markt erkennt den Trend – starker Anstieg, meist die dynamischste Welle.
- Welle 4: Zwischenkorrektur auf hohem Niveau.
- Welle 5: Euphorie, Nachzügler steigen ein – oft überbewertet.
Die drei Korrekturwellen (A–B–C); korrigierende Korrekturen:
- Welle A: Erste Verkäufe – beginnender Rückgang.
- Welle B: Zwischenrally – trügerische Hoffnung.
- Welle C: Ernüchterung – der Markt fällt weiter.
Goldenen Schnitt und Fraktale
Das Faszinierende dabei: Diese Struktur ist fraktal – sie wiederholt sich auf allen Skalen. Eine Welle 3 auf Tagesbasis – zum Beispiel – enthält wiederum fünf kleinere Wellen (Zeiteinheiten), und so fort.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Proportionen dieser Wellen oft dem Goldenen Schnitt folgen, was ihre harmonische Dynamik in der Marktbewegung unterstreicht. Ich erkläre das lieber mit dem Goldenen Schnitt, da die Fibonacci-Folge, auf die viele Trader setzen, oft mehr Verwirrung stiftet, als sie Klarheit schafft.
Vom Außenseiter zur Legende
1935 machte Elliott mit einer spektakulären Prognose auf sich aufmerksam: Er sagte das damalige Tief am US-Aktienmarkt präzise voraus. Und doch wurde seine Theorie zu Lebzeiten kaum ernst genommen – zu spekulativ, zu esoterisch, meinten viele.
Erst nach seinem Tod im Jahr 1948 wurde seine Arbeit wiederentdeckt – insbesondere durch den Marktanalysten Robert Prechter, der 1978 ein Buch über die Wellentheorie veröffentlichte. Prechter nutzte sie erfolgreich für Marktprognosen – etwa vor dem Börsencrash von 1987. Seitdem gilt die Theorie als fester Bestandteil technischer Analyse – ob man sie nun für präzise hält oder für poetisch.
Was bleibt?
Die Elliott-Wellen-Theorie ist mehr als ein Modell zur Kursprognose. Sie ist ein Denkgebäude, das ökonomische Bewegungen mit psychologischen Mustern verknüpft. Sie geht davon aus, dass Märkte nicht nur auf Fakten, sondern auf Stimmungen reagieren – dass sie vom kollektiven Verhalten angetrieben werden.
Und sie erzählt eine Geschichte: von einem Mann, der im Krankenbett lag, körperlich geschwächt, aber geistig hellwach. Ein Mann, der die Zeit seiner Krankheit nutzte, um Ordnung im Chaos zu erkennen. Und der damit – gewissermaßen aus der Isolation heraus – einen bleibenden Beitrag zur Börsengeschichte leistete.
Fazit
Wer erstmals von der Elliott-Wellen-Theorie hört, sollte das Wissen zunächst sacken lassen. Ein tieferes Verständnis entsteht nicht über Nacht, da die Theorie nicht nur eine mathematisch-statistische, sondern auch eine visuelle Komponente umfasst.
Besonders im Vorteil ist, wer ein Gespür für den Goldenen Schnitt entwickelt (siehe Bemerkung oben in meiner Handskizze) – ein Prinzip, das nicht nur in der Natur und Architektur, sondern auch für einen Gartengestalter wie mich von zentraler Bedeutung ist. Dazu ist es lohnenswert, einmal kurz in den schon recht betagten, doch immer noch gültigen Artikel (von mir verfasst) über Proportionen in Gestaltung und Kunst hineinzuschauen.
Weitere Bemerkungen
[1] Jüngst etwa wurde der Rückgang der Börsenkurse mit der Politik Donald Trumps in Zusammenhang gebracht. Die derzeitigen Kurskorrekturen (April 2025) an den US-Börsen waren bereits im Sommer 2024 von etlichen Marktbeobachtern erwartet worden.
In Videos eingehend erklärt und wikipedia:
- Elliot Wellen Theorie für Anfänger; 07.02.2022 (FUNDSCENE, Videoformat)
- Der Elliott-Wave-Kompaktkurs mit allen Formationen, Regeln und Erfahrungen“; 31.5.2023 (Elliottwaver Live, Videoformat)
- Elliott Wellen Lernen; 20.03.2019 (HKCM, Videoformat)
- Die Theorie ist auch auf wikipedia erklärt, doch dort recht verworren…
Prognosen im Vorfeld zum US-Markt
- 3.1.2025 „Unsere Kursziele für Ende 2025!“ [S&P500,Dow Jones, NASDAQ] (HKCM, Videoformat)
- 11.3.2025 „Die Woche der Entscheidung – Wie weit geht der Crash? [DowJones] (HKCM, Videoformat)