Bild: Ein Büchlein, das den Blick auf Licht und Schatten für immer verändert – Jun’ichirō Tanizakis «Lob des Schattens»
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Eine kleine, große Entdeckung
➡️ Wer nach einer pfiffigen Geschenkidee mit einem Hauch Intellektualität sucht, dem möchte ich heute ein eher wenig bekanntes, aber dauerhaft wirkendes Büchlein vorstellen. Seit seiner Veröffentlichung 1933 hat es nichts von seiner Faszination verloren – und das wäre nicht der Fall, wenn es nicht etwas Besonderes wäre. Es handelt sich um:
- Titel: In’ei raisan (Lob des Schattens)
- Autor: Jun’ichirō Tanizaki
- Erstveröffentlichung: 1933 (Japanisch); deutsche Übersetzung etwa bei Eduard Klopfenstein, 1987
- Deutsche Auflage: Entwurf einer japanischen Ästhetik“ (2010), übersetzt von Eduard Klopfenstein, Suishu Klopfenstein-Arii (Illustrator) – auf amazon findet sich eine Leseprobe
- Genre: Essay, Kulturphilosophie, Ästhetik
- Umfang: ca. 90 Seiten
Wer das Buch preiswert erweben möchte, der suche es antiquarisch zu bekommen. Mit etwas Glück besommst du es dann zum halben Preis, aber nicht 14 Tage vor Weihnachten!
Der Autor – ein Beobachter von Rang
➡️ Jun’ichirō Tanizaki war nicht nur Schriftsteller, er war vor allem ein begnadeter Beobachter. Wer ihn liest, nimmt dauerhaft etwas mit: Die Welt erscheint nach der Lektüre klarer, feiner abgestuft, fast neu.
Seine Kunst liegt darin, Nuancen menschlichen Verhaltens, kulturelle Eigenheiten und ästhetische Phänomene präzise einzufangen. In Lob des Schattens wird dies besonders deutlich – durch Beschreibungen von Licht, Patina und Alltagsmomenten, die tiefe Einblicke in die japanische Seele eröffnen.

Selbst in seinen anderen Publilationen, den recht „verdrehten“ Romanen wie „Der Schlüssel“ zeigt sich diese Beobachtungsgabe, die Obsessionen und Spannungen mit ironischer Schonungslosigkeit freilegt. Tanizaki sah, was anderen entging – die Schönheit eines Schattens ebenso wie die Abgründe einer Leidenschaft.
Ein Essay als Juwel
➡️ Lob des Schattens ist ein kleines, funkelndes Juwel: ein Essay, der die Seele traditioneller japanischer Ästhetik einfängt und zugleich die westliche Moderne kritisch beleuchtet. In 16 meditativen Abschnitten formuliert Tanizaki eine Liebeserklärung an Vergänglichkeit, Patina und Zwielicht.

➡️ Sein Ausgangspunkt ist alltäglich: Elektrisches Licht oder westliche Toiletten passen nicht in die gedämpften Räume traditioneller Holzhäuser. Doch aus dieser Klage entsteht eine Reflexion über Licht und Schatten. Schiebetüren, Lackarbeiten, Nō-Theater – alles lebt von Halbton und Andeutung.
„Wir finden es schön, wenn das Dunkel sich über einen Raum legt“,
schreibt er. Die westliche Kultur hingegen zerstöre mit grellem Licht und hygienischem Glanz die Magie des Unklaren und lässt der Fantasie keinerlei Raum mehr in der Wahrnehmung des Alltäglichen.

Sinnlichkeit und Ironie
➡️ Besonders eindrucksvoll sind seine Betrachtungen zur Sinnlichkeit. Geishas entfalten ihre Mystik erst im Kerzenschein; helles Licht entzaubert sie.
Die japanischen Urushi-Lackwaren gewinnen durch Abnutzung erst ihre Würde,
und selbst die „Toilette im Garten“ wird bei Tanizaki zum Ort kontemplativer Schönheit.

➡️ Sein Ton ist gelehrt und zugleich spielerisch. Ironische Seitenhiebe – etwa auf die blasse Haut der Europäer im Schatten – lockern die Ernsthaftigkeit. So entsteht ein Text, der leuchtet, ohne zu belehren.
Stärken und Grenzen
Stärken
- Kulturelle Tiefe: Essenz japanischer Ästhetik, anschaulich vermittelt.
- Sprachliche Eleganz: Klare, lyrische Übersetzung mit Witz.
- Zeitlose Relevanz: Kritik an Vereinheitlichung und Moderne wirkt heute fast prophetisch.
- Kompaktheit: Es ist nicht langatmig und schnell geslesen.
Das zu Beachtende
- Kulturelle Distanz: Ohne Vorkenntnisse oder den Willen, sich in gewisse fernöstliche Phantasiewelten zu begeben, bleibt manches vielleiocht fremd.
- Romantisierung: Tanizakis Nostalgie verklärt bisweilen das „alte Japan“ – doch ich denke jeder kennt auch den Japaner in serner Modernität
- Nischeninteresse: Wer für Ästhetik wenig übrig hat, wird schwer Zugang finden … definitiv.
Zielgruppe und Zeitkontext
➡️ Das Büchlein richtet sich an alle, die japanische Kultur, Ästhetik und Philosophie erkunden wollen – oder schlicht eine poetische Pause im Alltag suchen. Im Japan der 1930er-Jahre, zwischen Modernisierung und Tradition, war es ein Plädoyer für das Bewahren kultureller Wurzeln. Heute, angesichts globaler Vereinheitlichung, wirkt diese Botschaft aktueller denn je.
Fazit
➡️ Lob des Schattens ist ein Meisterwerk der kleinen Form: schlicht, tief, poetisch. Tanizaki lädt ein, Schönheit im Halbdunkel zu entdecken – in einem Teehaus, einer glänzend lackerten Holzdose, einem flüchtigen Moment. Am besten liest man es bei Kerzenlicht mit einer Tasse Tee: nicht nur zu lesen, sondern zu spüren.
Persönliche Nachklänge
➡️ Ich selbst habe das Büchlein vor zwanzig Jahren erworben gelesen – und es hat mich sofort fasziniert. Seither ist es auch ständig verborgt und selten bei uns daheim im Bücherschrenk.
Nun – ein Gedanke, den man auf unsere eigene Kultur übertragen kann, betrifft die Verwendung von Gold. Vergoldungen wurden einst im Kerzenschein lebendig; man denke an die Altäre unserer Kirchen. Im heutigen Punktlicht moderner Strahler verliert diese Kunstform jedoch ihre Seele.

➡️ Ein weiterer Gedanke betrifft Tanizakis „schmutzige Schönheit“ alter Tempel. Auch wir könnten lernen, den Reiz des Unvollkommenen zu schätzen.
Wie viel Geld wird vergeudet, weil der eine oder andere Zeitgenosse beim Erwerb oder Umbau eines Hauses glaubt, eine „neue Küche“ oder ein „neues Bad“ sei unverzichtbar. Hier liegt ein philosophisches Thema, das weit über die Ästhetik hinausreicht – und das ich gewiss noch vertiefen werde.
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- JACOB, Thomas; derkleinegarten.de; Gold: Symbolik und Bedeutung; 15.4.2014
- https://de.wikipedia.org/wiki/Lob_des_Schattens
Bildquellen:
2) Lackmalerei von Shibata Zeshin „Kastanien von Shibata Zeshin, brauner und schwarzer Lack auf Goldpapier in einem kleinen Tischleinwand, 1870er Jahre (Honolulu Museum of Art); Quelle in den Webarchiven
3) Hauptheiligtum des Trommel-Schreins, Zweiter Schrein der Provinz Bitchū; Quelle
4) Ki-Bild (Leonardo-AI) mit der Vorgabe, eine moderes Wohnzimer zu generieren, 24.9.2025
5) Samurai Haus in Kakunodate.
6) T. Jacob
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