Karte oben: Eine aktuelle Wikipedia-Karte von mir ergänzt: In Rot ist das Zentrum des Ursprungs und der Ausbreitung der Landwirtschaft nach der Hypothese des deutschen Forschers und Wissenschaftlers Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958) eingetragen. Grün: nach Wikipedia. (Bildquelle Joe Roe [1] CC BY-SA 3.0)
Grabstock Hacke und Pflug (Teil 3)
In dem heutigen Beitrag möchte ich noch einmal kurz auf meinen Eintrag vom 14.5.2024 eingehen, der wie folgt überschrieben ist: “Grabstock Hacke und Pflug (Teil 2). „Entstehung unserer Landwirtschaft in den Tropen und drei nützliche Erkenntnisse.” [Teil 1 und alle Beiträge]
Über Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958)
◾ Dieser Blogbeitrag beschäftigte sich mit der Publikation “Grabstock Hacke und Pflug” Untertitel: “Versuch einer Entstehungsgeschichte des Landbaus” [2] und stammt aus der Feder von Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958), der als bedeutender deutscher Botaniker, Ethnologe, Geograph und Agrarwissenschaftler gilt und 1954 das Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk erhielt.
In Sachen Agrargeschichte war er ohne Frage ein überragender interdisziplinärer Wissenschaftler. Allerdings gerieten seine Arbeiten bald in völlige (?) Vergessenheit, worauf ich unten weiter eingehen werde.
WERTHs Hypothese der Entstehung der Landwirtschaft
WERTH vertrat die gut begründete Hypothese, dass die Geschichte der Landwirtschaft ursprünglich auf dem tropischen indischen Subkontinent begann, also in Indien!
Von da aus breitete sich (mit Wechselwirkungen) der einfache Landbau als „tropischer Hackbau“ westlich nach Afrika und östlich nach Ostasien bis hinüber zum tropischen Amerika (!) aus.
Der Pflugbau entwickelte sich aus dem Hackbau heraus, grob gesehen im Umfeld des Indus und nördlich davon in Zentralasien [3]. Nach WERTH war die Entwicklung des pflügenden Feldbaus (klar ausgesprochen) eine Folge, Anpassung und Weiterentwicklung des tropischen Hackbaus an die trockenen und kühleren Klimazonen nördlich des ursprünglichen Feldbau-Zentrums mit Hacke und Grabstock.
Meine Recherchen dazu
Auf diese Hypothese stieß ich bei meinen Recherchen der Ursprungsgebiete etlicher unserer Gemüsepflanzen, wie Zwiebel, Knoblauch, Ackerbohne, bei denen heute die Herkunft in Zentralasien vermutet wird. Als Besonderheit dieser Nutzpflanzen (Zwiebel, Knoblauch, Ackerbohne) kommt hinzu, dass sie offensichtlich schon außerordentlich lange in der Kultur des Menschen sind, da ihre Wildformen bis heute nicht klar definiert werden können. WERTHs Hypothese erklärt mir diese Besonderheit jedoch recht schlüssig.
WERTHs Hypothese zur Ausbreitung des Landbaus
WERTH spekuliert dann weiter, dass sich von diesem neuartigen ackerbaulichen Zentrum aus (welches südlich überlappend mit dem tropischen Hackbaugürtel verbunden bleibt), der pflügende Ackerbau dann in westlicher Richtung nach Anatolien und in östlicher Richtung nach Ostasien ausbreitete. Von Vorderasien aus gelangte, mit der sogenannten Neolithischen Revolution (neolithische Agrarrevolution), der Ackerbau samt seinen speziellen Nutztieren nach Europa [4] (Seite 387 unten).
Bemerkenswert ist, dass diese weit entwickelte Hypothese des deutschen Wissenschaftlers quasi gleichzeitig mit seinem Tode am 9. Juli 1958 [5], ein ähnliches widerfuhr. Wenn ich mir heute die “Geschichte der Landwirtschaft” auf Wikipedia [3] anschaue, stelle ich fest, dass WERTHs Hypothese offensichtlich nicht nur “begraben” wurde, sondern auch totgeschwiegen wird (sicher unwissentlich).
Was finden wir auf Wikipedia?
Auf Wikipedia [6] finden wir verschiedene Thesen und Hypothesen und zwar zu mehreren Entstehungs-Zentren des Pflanzenbaus und wenn ich die Karte, die dazu bereitgestellt wird, richtig interpretiere, liegen bei den Wikipedia-Autoren die Wiegen unserer heutigen Landwirtschaft auf vier Plätze der Erde (Karte oben):
- Anatolien und Fruchtbarer Halbmond (Naher Osten)
- Yangtze- und Gelbes Flusstal (China)
- Sahelzone (Afrika), die Region südlich der Sahara, die einmal fruchtbarer war, als heute
- Papua-Neuguinea
In den auf Wikipedia bereitgestellten Thesen findet sich gar nichts auf das von WERTH vorgeschlagenen Entstehungszentrum des frühen Pflanzenbaus (Hackbau) in Indien, im Industal und im zentralasiatischen Raum (auch nicht als Variante Nr. 5), in dem der Pflanzenbau erfunden und weiterentwickelt wurde; und auf der ganzen Wikipedia-Seite findet sich trotz zahlreicher Quellenangaben nicht einmal der Name WERTH als Wissenschaftler.
Fragen dazu
Die Feststellung oben, die mich tatsächlich ein wenig stutzig macht, möchte ich hier in diesem Blogbeitrag zunächst nur festhalten und noch nicht weiter interpretieren. Die Fragen, die sich dazu aufwerfen, sind jedoch zu nennen:
- Ist diese Hypothese einfach nur vergessen worden?
- Gab es nach WERTHs Tod archäologische Ausgrabungen und Funde, welche seiner Hypothese deutlich widersprechen?
- Ist WERTHs Hypothese doch nicht schlüssig?
- Spielen politische Entwicklungen der 1950er und 1960er Jahre eine Rolle? [7]
- Spielen weitere wissenschaftliche Arbeiten WERTHs eine Rolle?
- Gibt es Erkenntnisse aus der Archäogenetik, welche WERTHs Hypothese stützen oder korrigieren?
In diesen Zusammenhängen darf natürlich die Meinung des Herrn Dr. Hans Findeisen nicht unbeachtet bleiben, wenn er in seinem verfassten Nachruf [5] folgendes schrieb: „Er konnte so manche liebgewordene Meinung nicht unterstützen, er war gedanklich viel zu selbständig und unabhängig, als daß ihm wissenschaftliche Glaubenssätze etwas bedeuten konnten. Die Gegnerschaft der mit dem Strom Schwimmenden hat er sein Lebenlang zu fühlen bekommen. Und auch sein 1954 erschienenes großes Ackerbauwerk räumt mit manchen alteingefleischten Überzeugungen der Vorgeschichte auf. So wird von Werth die Pflugbaukultur von Nordwestindien und den unmittelbar benachbarten Räumen abgeleitet und nicht von Europa, welche Ansicht aus europäisch-lokalpatriotischen Gründen immer wieder verfochten wird.“
Quellen und Erläuterungen
[1] Bildquelle, Beitragsbild ganz oben:
Von Joe Roe – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12176717
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Landwirtschaft#/media/Datei:Centres_of_origin_and_spread_of_agriculture.svg
[2] WERTH, Prof. Dr. Emil; Grabstock Hacke und Pflug; Ludwigsburg 1954
[3] WERTH beschreibt das Ausgangsgebiet des Pflugbaus als nordwestindisch-afghanisch-innerasiatisch“ (z.B. Seite 352)
[4] Geht man heute davon aus, dass sich der Feldbau über den Mittelmeerraum und die alte Donau-Kultur nach Nordeuropa ausbreitete, findet sich bei WERTH auch ein gerader Weg von Indien durch Innerasien nach Südfinnland (Seite 207). Genauer gesagt bewegte sich diese Ausbreitung in einem riesigen kontinentalen Kulturraum, den WERTH folgendermaßen beschreibt (Seite 354 oben): „Mehr als bei einer anderen Pflugbauprovinz sehen wir bei der innerasiatischen sesshaftes Bauerntum und bewegliches Wanderhirtentum sich durchdringen und überlagern. Im Süden an den subtropisch-nordwestindischen Teil der südostasiatischen Provinz sich anlehnend reicht unsere Provinz im Norden bis an die Gebiete der Rentiernomaden.“
In dieser „innerasiatischen Pflugbauprovinz“ (Seite 350) findet dann auch der Kontakt mit den Ur-Indoeuropäern statt, die jedoch halbnomadisch lebende Viehzüchter waren und gemäß dem von WERTH erwähnten Schlagworten: „Der Arme betreibt Ackerbau, der Reiche Viehzucht.“ zu bewerten ist. Diese Ur-Indoeuropäer waren die Menschen der sogenannten Yamnaja-Kultur (Yamnaya culture), die vermutlich recht „symbiotisch“ mit den Ackerbaukulturen zusammenlebten und nicht kriegerisch. In diesen Mischkultur von Bauern und Viehzüchtern, die viele Jahrhunderte später von einer indoeuropäischen Oberschicht durchdrungen wurde, sowie durch günstige klimatische Verhältnisse, kam es vermutlich zu Bevölkerungsexplosionen und Ausbreitungsbewegungen, die bereits in der Jungsteinzeit ab etwa 10.000 v. Chr. begonnen haben.
All diese Ausbreitungsbewegungen, die mit den Ackerbaukulturen und der Yamnaja-Kultur zu tun haben, sind heute archäogenetisch nachgewiesen. Von WERTH wurden sie in den Grundzügen bereits vor über 60 Jahren beschrieben.
Die Fragen, die mich bei diesen Themen bewegen ist vordergründig die: Was war die Nahrungsgrundlage jener Zeit? Zudem der Ausbreitungsprozess des Landbaus nachweislich mit der Megalithkultur einherging, wofür Kalorien erzeugt werden mussten.
[5] Nachruf von Dr. Hans Findeisen; https://www.zobodat.at/biografien/
Werth_Emil_Abh-naturwiss-Ver-Schwaben_13-14_0210-0225.pdf
[6] https://web.archive.org/web/20240519073105/https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Landwirtschaft
[7] Vermutlich war WERTH für seine Zeit auch zu sowjet-russlandfreudlich (?); siehe [5] Seite 11, was zwischen den Zeilen zu lesen ist…
[8] Ein „moderner“ Grund könnte sein, dass WERTH im Zusammenhang mit der Littorina-Transgression (Littorinameer-Phase, Ostsee als Süßwasser-Meer) bereits 1954 nachwies, dass es nacheiszeitlich Senkungen und Hebungen der Erdkruste im Ostseeraum gab und dass dort neben Hebungen heute noch Absenkungen der Erdkruste stattfinden. Demnach sind heutige Meeresspiegel-Anstiege in diesem Bereich nicht auf einen allgemeinen Anstieg des Meeresspiegels (klimabedingt) zurückzuführen, sondern auf ein Absinken von Landmassen.
Obwohl WERTH zu dieser Thematik eine 268 seitige wissenschaftliche Schrift verfasste, ist auch diese nicht auf dem heutigen Wikipedia-Eintrag zu finden:
https://web.archive.org/web/20240324102408/https://de.wikipedia.org/wiki/Littorina-Transgression
WERTH, Prof. Dr. Emil; Die Litorinasenkung und die steinzeitlichen Kulturen im Rahmen der isostatischen Meeresspiegelschwankungen des nordeuropäischen Postglazials; Wiesbaden 1955
Unterschied: These und Hypothese