Bild: Wer besäße nicht selber so ein kleines, schönes Tagelöhnerhaus?
Der Blog als Content-Format für meine Recherchen
🏡 Das die Themen hier auf diesem Blog thematisch “quer durch den Gemüsegarten“ gehen hat einen ganz bestimmten Grund und das ist folgender. Im Zusammenhang mit meinen publizistischen Arbeiten – es sind gärtnerische Fachbeiträge, aber auch Themen, wie Kulturgeschichte und Wirtschaft – muss ich relativ viel recherchieren. Im April diesen Jahres hatte ich dann die Idee, meine Recherche-Notizen so weit wie möglich öffentlich im altmodischen Blog-Format zu hinterlegen. Hier kann ich sie (in aufgearbeiteter Form) nämlich um vieles besser überblicken, als in irgendwelchen Dateien-Ordnern auf dem Rechner oder in der Cloud; und ich sehe an der Blogstatistik sofort, welche Themen die Leser interessieren und welche nicht.
Demnächst werde ich sicher auch freies Bildmaterial zur Verfügung stellen, was zum Beispiel in den Foren oder in wissenschaftlichen Arbeiten (auch für die wichtige private, unabhängige Forschung) Verwendung finden kann.
Recherche zum sogenannten Häusler
Heute stieß ich mehr oder weniger zufällig auf ein Thema, welches ich hier im Blog erst einmal beiseitelege, um mich später nochmals eingehender damit zu befassen. Dabei geht es um den sogenannten “Häusler”, was ein historischer Begriff für eine freie Selbstversorger-Wirtschaft im kleinstmöglichen Maßstab ist.
Wer oder was ein Häusler genau ist – und mit dem verbunden, was ein ein Tagelöhner ist – zeigt uns die unten folgende Textquelle für’s erste erschöpfend, sodass ich eigentlich keine Randnotizen machen müsste.
Eine Vorbemerkung sei mir aber gestattet und das ist die positive Darstellung der Lebensumstände der Häusler-Familie [1] und des Tagelöhners in dieser Quelle.
Häusler und Tagelöhner: Heute zu wenig positiv dargestellt.
Ich kann mich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser frühere Status des Häuslers heutzutage oft negativ besetzt ist und zu negativ interpretiert wird. Am Ende hat man dann nicht selten den Eindruck, dass diese Familien ärmlich lebten [2]. Selbst dann, wenn wir z.B. bei Wikipedia lesen, dass die Häuslerei in früheren Zeiten für ärmere Leute ein sozialer Aufstieg war.
Wir lesen dort: „Häusler traten in größerer Zahl ab dem 16. Jahrhundert auf. Die dörfliche Gemarkung war zu dieser Zeit bereits weitgehend unter Hufnern und Gärtnern aufgeteilt. Für die Häusler blieben so oft nur Erwerbsmöglichkeiten als Kleinhandwerker, Dienstboten, Tagelöhner, Schulmeister oder Hirten übrig. Trotzdem bedeutete für sie der Hauserwerb einen sozialen Aufstieg innerhalb des Dorfes.“ [3]
Die Wikipedia-Autoren vermitteln hier nämlich nur die halbe Wahrheit, bzw. wird die erste Hälfte der Wahrheit zu schnell überlesen:
- Die freie Häusler-Familie war Besitzer ihres Haus und Grundstücks (in der Regel weitgehend schuldenfrei).
- Ihr Haupterwerb war selbstversorgender Gartenbau inklusive Tierhaltung, mitunter auch Imkerei.
- Die Häuslerin war eine frei arbeitende Wirtschafterin auf eigenem Besitz (Hofwirtschaft).
- Der Familienvater arbeitete ebenfalls auf seiner eigenen Hofwirtschaft und Nebenberuflich als Solo-Selbständiger außer Haus; nicht in einem abhängigen Abhängigkeitsverhältnis, wobei ich hier den heute irreführenden Begriff “Tagelöhner” einfach mal mit einem „Solo-Selbstständigen im Nebenerwerb“ gleichsetze.
Lieber Leser! Diese Häusler waren wirtschaftlich freie Bürger. Wer kann das heute von sich behaupten?
Aus dem Handbuch der landwirtschaftlichen Betriebslehre (1896)
Und nun wenden wir uns der Textquelle zu. Sie entstammt einem “Handbuch der landwirtschaftlichen Betriebslehre” aus dem Jahre 1896. In diesem Buch sind die für die Landwirtschaft zur Verfügung
stehenden Arbeitskräfte genauestens beschrieben und mit dem auch die Häusler.
Freiherr von der GOLF, Dr. Theodor; Handbuch der landwirtschaftlichen Betriebslehre; Berlin 1896 (Dr. Theodor Freiherrn von der Golf: Geh. Regierungsrat, ord. öff. Professor an der Universität Bonn u. Direktor der landwirtschaftlichen Akademie zu Poppelsdorf.)
Online lesen: https://books.google.de/books?id=cBNJAAAAMAAJ
Sozialer Aufstieg als Häusler
Seite 271: „Die freien Arbeiter ohne Grundbesitz [… es sind sogenannte Einlieger, Mieter und meistens Saisonarbeiter…] finden sich in ganz Deutschland, selten bilden sie aber die Hauptmasse der Tagelöhner. Ihre wirtschaftliche Lage ist meist eine so ungünstige, dass es in ihrem Interesse liegt, sich baldmöglichst in die Klasse der Gutstagelöhner oder der Häusler emporzuschwingen.“
Seite 266: „Die freien Tagelöhner [4] haben keinen festen Dienstvertrag mit dem Arbeitgeber; sie erhalten von letzterem für jeden geleisteten Arbeitstag einen bestimmten Lohn und beide Teile können jeder Zeit das bestehende Arbeitsverhältnis lösen. Die freien Tagelöhner, auch schlechthin freie Arbeiter genannt, wohnen gewöhnlich in Dörfern, sei es zur Miete , sei es als Besitzer eines eigenen Hauses oder Grundstückes. Im ersteren Falle heißen sie Einlieger, im zweiten Häusler, Büdner, Eigenkätner, grundbesitzende Tagelöhner.“
Der Unterschied zum Mieter und abhängig Beschäftigten
Seite 267: „[…] sie [die Einlieger] bilden das eigentliche Proletariat auf dem Lande. — Ungleich besser sind die Häusler daran. Dieselben haben einen festen Wohnsitz, eine eigentliche Heimstätte. Das kleine Grundeigentum gewährt ihnen außer der Behausung einen Teil ihres sonstigen unentbehrlichen Lebensunterhaltes.
Auf dem Garten- oder Ackerland bauen sie ihren Bedarf an Kartoffeln und Gemüse; gewöhnlich haben sie auch eine kleine Viehhaltung, bestehend in Geflügel, in einem oder ein paar Schweinen oder Ziegen oder gar in einer Kuh. Die Erzeugnisse der Viehhaltung befriedigen ihren Bedarf an animalischer Nahrung vollständig oder doch größtenteils; zum Verkauf gebracht, liefern sie einen nicht unerheblichen Zuschuss zu dem baren Einkommen aus dem Tagelohn. Die eigene kleine Wirtschaft der Häusler wird von deren Frauen und Kindern besorgt, während der Mann auswärts [außer Haus] auf Lohnarbeit geht. Hört letztere im Winter zeitweise auf [“Winterurlaub”], so hat der grundbesitzende Tagelöhner doch einen wesentlichen materiellen Rückhalt in dem Ertrage aus der eigenen Wirtschaft; er kann auch die von Lohnbeschäftigung freien Tage dadurch für sich ausnutzen, dass er die ihm zugehörigen Baulichkeiten und Geräte ausbessert und wieder in stand setzt.
Der grundbesitzende Arbeiter ist viel mehr zum Sparen und überhaupt zu einer wirtschaftlichen Lebensweise geneigt als der Einlieger und als alle sonstigen Klassen der ländlichen Arbeiter überhaupt. Jede gemachte Ersparnis kann er in der eigenen Wirtschaft zur Anschaffung neuer Geräte, zur Verbesserung des Viehstandes, zur Vergrößerung seines Grundbesitzes, zur Erpachtung eines Stück Landes usw. vorteilhaft verwerten. Auf Grund vielseitiger Erfahrungen und statistischer Nachweise lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass die grundbesitzenden Tagelöhner im Durchschnitt die fleißigste, sparsamste, sittlich und wirtschaftlich am meisten vorgeschrittene Gruppe aller ländlichen Arbeiter ausmachen.“
Aufschlussreiches über den Landbesitz des Häuslers und die ländlich-schöne Lebensweise
Seite 60: Erfüllt derselbe [es wird auch die Anlage eines Ziergartens empfohlen] nicht direkt einen wirtschaftlichen Zweck, so tut er dies doch indirekt [zur Erholung], und solche indirekte Wirkung ist ebenso wichtig, wenngleich äußerlich weniger sicht- und nachweisbar, wie die direkte. Jede, auch die kleinste Landwirtschaft sollte daher ein Stück Ziergarten besitzen; der Häusler, welcher vielleicht bloß oder 2 Hektar (=20.000 m²) sein Eigen nennt, kann ihn so wenig entbehren als der große Grundherr, welcher über tausende von Hektaren verfügt. Natürlich muss die Ausdehnung des Ziergartens in einem angemessenen Verhältnis zu dem Umfange und dem Ertrage der übrigen Wirtschaft stehen. Für den Kleinstellenbesitzer genügen hierzu eine oder ein paar Are (1 Ar = 100m²), falls die Fläche nur ausreicht, um einen Sitzplatz, einige Blumen, Sträucher und Obstbäume aufzunehmen; der Kleinstellenbesizer wird häufig und verständiger Weise ein und dieselbe Fläche sowohl als Zier wie als Nutzgarten verwenden. Mit der wachsenden Ausdehnung und Ertragsfähigkeit des Gesamtareals darf und soll dann auch der Umfang des Lustgartens zunehmen.”
Stich von Ludwig Richter (1803–1884). Waren diese Menschen arm oder eher reich?
Quellen und Erläuterungen
[1] Der Begriff „der“ Häusler ist etwas irreführend. Es war fast immer eine Art Familienbetrieb.
[2] Natürlich gab es vielerorts auch verarmte Häuser ebenso wie verarmte Bauern oder verarmter Adel.
[3] https://web.archive.org/web/20240316221508/https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4usler
[4] Dem Abschnitt geht diese, genauere Definition des Tagelöhners voraus.“Die Tagelöhner unterscheiden sich in ihrer dienstlichen Stellung dadurch von dem Gesinde, dass sie während bestimmter Arbeitsstunden täglich bei allen vorkommenden Verrichtungen tätig sein müssen; in ihrer wirtschaftlichen Lage aber dadurch, dass sie für ihre Leistungen einen, meist auf den Tag berechneten Lohn empfangen, welcher entweder bloß in barem Gelde oder auch außerdem noch
in gewissen Naturalien besteht. Der Naturallohn wird häufig für eine längere Zeitperiode (Monat, Vierteljahr) oder auch für die ganze Jahresleistung berechnet und gewährt ; nur ausnahmsweise geschieht dies auch bei dem Geldlohne. Man teilt die Tagelöhner in zwei Gruppen, nämlich in freie und in kontraktlich gebundene.
[5] Steuerliche Behandlung der Häusler-Grundstücke: Verwaltungsnormen in Mecklenburg-Schwerin, Band 1
https://books.google.de/books?id=KVlNAAAAYAAJ 1883
Hier im Blog weiteres zum Thema Häusler lesen: Der Häusler und die Rentenproblematik