Geschichtsschreibung
◾ Wenn wir uns dem Thema der Germanischen Gärten nähern wollen, sollten wir uns durchaus zuerst einen Überblick über die geschichtlichen Aufzeichnungen verschaffen. Dazu will ich auch klar herausstellen, dass, wenn ich das Thema „Geschichte“ anschneide, auch nur die schriftlich fixierte Geschichtsschreibung meine. Ich stelle das vorweg, da heutzutage Umgangssprachlich Geschichte und Archäologie (in all seinen Facetten) oft in einen Topf geworfen wird. Andererseits gibt es auch Skeptiker (was Geschichtsschreibung betrifft), die bemängeln, dass diese Niederschriften subjektiv gefärbt sind und bekanntermaßen „vom Sieger geschrieben sind.“ Letzteres ist nichts Neues und mit dem Wissen, dass es so ist, ist das Studium geschichtlicher Quellen doch erst richtig interessant – oder?
Differenzierung
Unsere gewünschte, kritische Betrachtung von Geschichte beginnt bereits mit der ersten Feststellung Prof. Andereggs (siehe unten), dass nach den geschichtlichen Aufzeichnungen des Julius Cäsar (100–44 v. Chr.) Germanien zu dessen Zeit „kein besonders kultiviertes Bild darbot. Ein großer Teil des Landes war mit ausgedehnten Wäldern bedeckt; doch auch hier trat zur Zeit der Römerherrschaft im Anbau des Bodens eine große Veränderung ein.“ (Das ist so nicht ganz korrekt.)
Lebte man wirklich im Wald?
Heute wissen wir natürlich, dass die Römer, welche offene Kulturlandschaften gewohnt waren die schier undurchdringlichen Urwälder hinter dem Limes (z.B. den Herkynischen Wald) mit dem germanischen Kernsiedlungsraum in Verbindung brachten. Letzteres lag eben nicht an der Westgrenze des von den Römern definierten Germania magna, sondern neben der Elbe räumlich im Nord-Osten, Osten und Südosten Germaniens. Die noch unkultivierten Urwälder wurden zu Julius Cäsars Zeiten (er wurde 44 v. Chr. ermordet) gerade von ersten germanischen Neusiedlern urbar gemacht.
Hierbei ist ergänzend zu bemerken, dass die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Germanen und ihrer Vorfahren definitiv nicht der Wald war, sondern in einer Art Steppe und Waldsteppe, also eine offene Landschaft (in der man gern an Flussläufen siedelte). Darüber findet sich hier ein Blog-Artikel. Allerdings wurde dieser „eurasische Steppengürtel„, der sich bis weit in den asiatischen Raum erstreckte (eine Art Steppen-Autobahn), im ersten Jahrhunderts v. Chr. zu einem Problem für die germanischen Stämme. In dieser Zeit und später gerieten sie nämlich unter Druck von Osten her, verursacht durch die Expansion aggressiver nomadischer Reitervölker wie Bastarnen, Sarmaten und Skythen. Etliche Germanenstämme wichen nach Westen aus und kolonisierten auch als Rodungssiedler Neuland (Urwald) und kultivierten es zügig. Dass dieses Grenzgebiet schon kurz nach Christi Geburt eine freundliche Kulturlandschaft darbot (sicher auch durch den Handelskontakt mit den Römern bedingt), spricht für sich. Allerdings ist es auch so – und das zeigen die unten folgende geschichtlichen Berichte – dass die verschiedenen Stämme, den Gartenbau betreffend, sehr verschiedene Ambitionen hatten. Besonders in der Form der Landwirtschaft (Gartenbau inbegriffen) zeigt es, dass diese zentraleuropäische Ur-Nationen nicht eine streng-einheitliche „germanische Kultur“ besaßen.
Hinweise zum folgenden Text
Es folgt nun eine Zusammenfassung über die geschichtlichen Aufzeichnungen, die uns heute bekannt sind und die wir der Allgemeinbildung wegen auch einmal gelesen haben sollten.
Als Kenner dieser Quellen greife ich, wie bereits im Beitrag vom 23.4.2024 (Quellenstudie Island) gern auf die Kenntnisse der Forscher des 19. Jahrhunderts zurück. In diesem Falle ist es eine kurz gefasste (von mir kommentierte) Zusammenfassung von Felix Anderegg (1834–1911). Anderegg arbeitete als Professor an der bündnerischen Kantonsschule in Chur (Schweiz).
Mit dem lasse ich nun den Professor zu Wort kommen. Die Quellenangabe [1] findet sich unten und eine ausführlichere Quelle (VOLZ, K.W. [2]), die sicher auch ANDEREGG für seinen Aufsatz benutzte und der umfangreiche Primärquellen vorangestellt sind.
ANDEREGG: Kurzer geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Gemüsebaues [der Germanen].
[Auszug von Seite 10, 11 und 12; für die bessere Lesbarkeit ist der Text an wenigen Stellen leicht verändert]
[Zitat Anfang] „Nach Julius Cäsar bot Germanien zu dieser Zeit kein liebliches Bild dar. Ein großer Teil des Landes war mit ausgedehnten Wäldern bedeckt; doch auch hier trat zur Zeit der Römerherrschaft im Anbau des Bodens eine große Veränderung ein.
[Ca. 100 v. Chr. bis 300]
Der längere Aufenthalt der Römer am Rhein, Neckar und an der Donau veranlasste die Römer, manche Kulturpflanze, an deren Genuss sie gewöhnt waren, dahin zu bringen. Umgekehrt brachte die Gewohnheit, welche die Deutschen von Julius Cäsar [100–44 v. Chr.] an übten, dem römischen Banner zu folgen, viele Germanen in jene Gegenden, wo die Sonne mild und warm den Erdboden anlächelte und deren Erzeugnisse sie als Samen und Pflänzlinge wieder in ihre Heimat brachten. Nach Plinius bauten die Germanen Spargeln, Rüben und Rettiche. Die Rüben zeigten eine solche Feinheit und Zartheit, dass sie die Römer viel schmackhafter fanden als in Italien. Die Rettiche, aus China stammend, erreichten eine ungewöhnliche Größe und Zartheit, Zwiebeln und Lauch waren sehr schmackhaft und ebenso die mit Sorgfalt gepflegten Spargeln.
[Ab 300 und Hinweis auf die Völkerwanderung (375 n. Chr. bis 568 n. Chr.)]
Schon um das Jahr 300 treffen wir schöne Gartenanlagen am Rhein und 100 Jahre später empfahl Hieronymus [lat. Kirchenvater, 348/49–420]den Gartenbau den Mönchen als ein treffliches „Mittel gegen den Müßiggang und gegen den Teufel!“ Um’s Jahr 480 erschienen die salischen [Lex Salica] und baierischen Gesetze zum Schutze der Kulturen; 560–580 besingt Bischof Fortunatus, später zu Poitiers, die angebauten Gelände von Metz, Trier und Andernach und die schönen Gartenanlagen Childiberts [um 497–558], Chlodwigs Sohn, und seiner Gemahlin Ultrogatho [ca. 496–558], welche derselbe mit eigener Hand pflegte.
[Differenzierte Betrachtung]
Fast sollte man glauben, die Völkerwanderung ums Jahr 400 hätte jegliche Kultur geschädigt und es seien im Sturme der Zeiten durch die Einfälle wilder Horden und die Gräuel vandalischer Heerzüge die Blüten der Kultur zerstört worden. Allerdings gilt dieses für einzelne Gegenden und da, wo sonst der friedliche Pflug ging, lag der Boden verwildert und wucherte schädliches Gestrüpp.
So wurden um’s Jahr 380 durch die Einfälle der Hunnen die prachtvollen Gärten in der Landschaft Aquitanien, im südlichen Frankreich, eine Zierde der Gegend, vollständig zerstört.
Die Allemannen, die Feinde aller festen Wohnsitze, verwandelten die schönsten Gärten und Äcker in Weideland.
Alle Wanderungen kamen von Norden her nach den milderen südlichen Himmelsstrichen, so dass diese bald das Ziel aller Völkerwanderungen wurden, welche endlich die Römerherrschaft stürzten (476 n.Chr.). Allein eine Menge Völker fassten feste Wohnsitze und bauten die tief darniederliegenden Ländereien wieder an, so die Burgunder, die Angelsachsen, die Ostgoten, die Langobarden und Franken.
[Am Ende der Völkerwanderungszeit]
Eine Menge Kulturen wanderten mit den Völkern in andere Länder und so erhielten durch die Völkerwanderung die Deutschen den Spinat, die Gartenmelde und den Kaisersalat.
Der König der Ostgoten, Theodorich [Theoderich der Große (451/56-526)?], führte mit seinen Töchtern ein rechtes Bauernleben. Seine Gärten, die in schönster Pracht rings um seine Wohnungen ausgebreitet lagen, wurden von ihm und seinem Gesinde bebaut.
[Die Langobarden in Oberitalien]
Der König der Langobarden [Agilulf?] trieb mit großem Fleiß den Ackerbau. Er selbst lebte in der Einfachheit eines Hausvaters und nährte sich vom Ertrag seiner Gärten und Meiereien.
Dem Fleiße des Langobardenvolkes verdankt Oberitalien seine Blüte und wurde schon damals der “Garten Italiens” genannt.
[Britannien]
Auch die Angeln und Sachsen haben in Britannien die Kultur des Bodens eifrig gepflegt und es sind eine Menge Kulturen dahin verpflanzt worden und es haben sich gewisse Benennungen bis auf den heutigen Tag in der englischen Sprache erhalten. So stammt das englische Wort „garden“ ganz sicher von dem altdeutschen Ausdruck „Garten“ ab. [Zitat Ende] [TJ.21.9]
Quellen
[1] ANDEREGG, Prof. Felix; Der Gemüsebau im Hausgarten und im freien Felde,
nach den neuesten Grundsätzen der Wissenschaft; Zürich, 1880; Seiten 10
bis 12
https://books.google.de/books?id=Uchnsoklx2gC&dq=ANDEREGG
[2] VOLZ, Prof. K.W.; Beiträge zur Kulturgeschichte. Der Einfluss des Menschen auf die Verbreitung der Hausthiere und der Kulturpflanzen…; Leipzig 1852
https://darwin-online.org.uk/converted/pdf/1852_Volz_Kulturgeschichte_CUL-DAR.LIB.645.pdf