◾ Heute besuchte ich endlich noch „kurz vor Toresschluss“ die sachsen-anhaltische Landesgartenschau in Bad Dürrenberg, die nahe bei Leipzig liegt – und von mir aus in weniger als zwei Stunden gemütlicher Fahrt zu erreichen ist. Genau genommen ist es aber so, dass ich späte Besuchstermine auf solchen Gartenschauen besonders schön und angenehm finde, da zu dieser Zeit die Sommerblumen in voller Pracht stehen und die Tage Anfang Oktober nicht mehr so heiß sind. Allerdings war das Jahr 2024 bisher eher spärlich mit heißen und sonnigen Tagen gesegnet, und auch heute zeigte sich die Sonne nur für gut vier Stunden inmitten einer sonst regnerischen Wetterperiode. So viel zum aktuellen Klima in Deutschland.
Letzte, erste Eindrücke
Zum Ende des Gartenjahres gibt es auf einer solchen Gartenschau nicht mehr viel Neues zu entdecken oder in Bildern festzuhalten. Dennoch möchte ich einen Schnappschuss dieser Cosmea-Blumenwiese teilen.
Diese leicht im Garten zu kultivierenden, einjährigen Sommerblumen [1] sind in Natura oder als Schnittblumen in der Vase besonders schön zu bewundern. Auf Fotos wirken sie zwar zart und schön, aber oft irgendwie leblos und matt. Heute hatte ich allerdings etwas Gegenlicht, und so fingen die Blüten ein wenig das Flair einer Prärie-Landschaft ein. Und das ist gar nicht so abwegig, denn die Cosmea, bzw. Kosmea (Cosmos bipinnatus) stammt ursprünglich aus den Präriegebieten von Mexiko und dem südlichen Nordamerika. Sie ist an trockene, sonnige Standorte angepasst und eine typische Pflanze für offene, weitläufige Landschaften.
Blumenpflanzungen sogen für eine heitere und unbefangene Atmosphäre. |
Ein amerikanischer Filmklassiker
Diese Blumen erinnerten mich unweigerlich an einen Filmklassiker der 1980er Jahre: „Die Farbe Lila“ (The Color Purple, 1985) von Steven Spielberg (siehe unten). Die ersten und letzten Szenen dieses Filmdramas zeigen uns nämlich eine Wiesenlandschaft voller lila Kosmea-Blüten.
Der Film, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Alice Walker (einer US-Amerikanische Schriftstellerin), erzählt die bewegende Geschichte von Celie, einer afroamerikanischen Frau im ländlichen Georgia zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die über Jahrzehnte hinweg Missbrauch und Unterdrückung erfährt. Trotz ihres Leids findet Celie durch Freundschaften und ihre innere Stärke schließlich den Weg zur Selbstbestimmung. Mit herausragenden Leistungen von Whoopi Goldberg, Oprah Winfrey und Danny Glover erhielt der Film elf Oscar-Nominierungen und ist heute ein Stück amerikanischer Filmgeschichte, das universelle Botschaften über Mut und Überleben vermittelt.
Symbolik der Farbe Lila
Im Film und im Roman hat die Farbe Lila eine besondere symbolische Bedeutung: Sie steht für Schönheit, spirituelle Erweckung, Warten, Geduld und für positive Veränderung, die nicht mehr erwartet wird – ähnlich wie Celie selbst. In dessem Sinne sind die Themen in diesem Filmwerk ein Weg für jedermann, den wir auch heute noch in den verschiedensten Situationen antreten und gehen müssen. Für diesen steinigen und oft auch staubigen Weg gibt es jedoch auch spirituelle Begleiter (die sich jeder selber wählen mag), und das symbolisiert uns in diesem Filmroman dieses Meer zarter Prärieblumen.
Das eigentliche Thema der Gartenschau ist eine Salzquelle und eine Schamanin, die hier vor 9000 Jahren bestattet wurde.
Wenn es auch reiner Zufall ist, so zeigt sich, dass diese Gartenschau in vielfacher Weise tiefsinniger war, als vermutet. Das hängt schon damit zusamen, dass sie an einem Ort stattfand, an dem seit Urzeiten eine Salzquelle (eine Solequelle) entspringt. Für den Menschen seit je her, ein eiliger Ort.
Etwas unbemerkt auf der Gartenschau: Eine natürliche Solequelle. Ein spiritueller Ort… |
Nur am Rande soll bemerkt sein, dass das Salz selber im Urzeit-Verständnis der Menschen als Symbol für Reinheit, Beständigkeit und Schutz galt. Es wurde und wird bei spirituellen Ritualen verwendet, um negative Energien abzuwehren, zu reinigen oder die spirituelle Transformation zu unterstützen.
Die Schamanin von Bad Dürrenberg
Es mag ein glücklicher Zufall für die Archäologie gewesen sein, dass in den 1930er Jahren an diesem Ort das gut erhaltene Grab einer jungen Frau gefunden wurde – bekannt als die „Schamanin von Bad Dürrenberg“ – das etwa 9.000 Jahre alt sein könnte. Es war eine Zeit, in der hier Jäger-Nomaden lebten.
Ähnlich: Eine moderne Schamanin aus Mergen-Oroqen (Mandschurei), 1920er. |
Das Klimaoptimum nach der Eiszeit
Um 7000 v. Chr. herrschte übrigens eine extreme Wärmeperiode, in der die durchschnittlichen Jahrestemperaturen in unserer Region 2 bis 3 Grad über den heutigen Werten lagen. Dieses sogenannte Klimaoptimum folgte der Eiszeit. „Doch mit dem Rückgang der offenen Landschaften verschwanden auch die großen Rentier- und Pferdeherden, die den Menschen zuvor als ergiebige Nahrungsquelle gedient hatten. Die Menschen mussten ihre Lebensstrategien und Verhaltensweisen erneut anpassen – aus Tundrajägern wurden Waldläufer und Fischer.“ [2]
Die Schamanin war Jäger-Nomade
Waldläufer – oder anders formuliert, Jäger-Nomaden – waren in prähistorischen und historischen Zeiten oft nomadische Jäger und Sammler, die sich auf die Ressourcen der Wälder stützten. Besonders in Kulturen, die an Flüssen, Seen oder Küsten lebten, war die Kombination aus Waldjagd und Fischerei eine zentrale Überlebensstrategie. Die Zeitgenossen der Schamanin von Bad Dürrenberg lebten genau in einem solchen Umfeld, unmittelbar an der Saale im Saale- und Unstrut-Tal.
Eine Sensation folgt der Sensation
Der Fund der „Schamanin von Bad Dürrenberg“ war seinerzeit (und ist bis heute) eine archäologische Sensation. Doch dieser Fund wurde durch weitere Grabungen ab 2019 noch übertroffen: Vor dem Grab in einer kleineren Grube entdeckte man zwei Masken aus Hirschgeweih, die etwa 600 Jahre nach dem Tod der Bestatteten dort niedergelegt (bzw. vergraben) wurden. Man möge sich vergegenwärtigen, was das bedeutet – das Grab einer spirituellen Führerin, das sich an einer offensichtlich heiligen Salzquelle befand, hatte noch 600 Jahre nach ihrem Tod Bedeutung.
Das 8.2K-Event … es hätte reine Jäger-Nomaden „kalt“ gelassen
Diese Masken – vermutlich eine Art Opfergaben – wurden zu einem Zeitpunkt niedergelegt, der in der Vorgeschichte als 8.2K-Event bekannt ist [3]. Dies war ein kataklystisches Ereignis von unvorstellbarem Ausmaß. Ab etwa 6350 v. Chr. erkaltete das Klima innerhalb weniger Jahre dramatisch. Die jährliche Durchschnittstemperatur sank rapide, und plötzlich herrschte wieder ein nahezu eiszeitliches Klima auf der Nordhalbkugel. Es gab zwei bis vier Jahrhunderte mit kaum nennenswerten Niederschlägen, und der Meeresspiegel sank rapide.
Nun ist es aber so, dass nach WERTH [4] reine Jäger-Nomaden und Fischer prinzipiell unabhängig von klimatischen Verhältnissen agieren, weil sie nicht sesshaft sind und den Veränderungen in der Natur ausweichen. Wenn nun die offensichtlich konstante Jägernomaden-Kultur der Schamanin von Bad Dürrenberg Probleme mit dem Klima hatte, ist das ein starker Hinweis darauf, dass sie ähnlich den Nordost-Waldland-Indianern (Northeast Woodland Tribes) – [siehe auch Blog-Artikel von gestern] – eine Art Pflanzer-Hackbau betrieben… [5].
Dem nachzugehen wird die Betrachtung weiterer Blog-Artikel sein.
Quellen und weiter Hinweise
Bildquelle (Schamanin): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schamanin_der_Mergen-Oroqen_01.JPG ; Mehr hierzu auf web. archive.org ; Die Oroquen (Volk)
[1] Die Blumen lassen sich denkbar leicht vermehren und verwildern teils auch. Jetzt können wir von den abgeblühten Blütenständen Samen ernten und ihn Ende April, Anfang Mai direkt auf ein Beet säen und das war es dann auch schon. Abgesehen, dass Unkräuter keine Konkurrenz werden. Literatur:
GRUNERT, Christian; Gartenblumen von A-Z; Radebeul 1972; Seite 215ff
[2] https://www.landesmuseum-vorgeschichte.de/dauerausstellung/menschenwechsel/die-schamanin-von-bad-duerrenberg
[3] Das 8.2K-Event (8.2. Ereignis, 8.2. cold event) bezeichnet eine abrupte Klimaveränderung, die etwa vor 8.200 Jahren (ca. 6200 v. Chr.) stattfand. Verursacht wurde der Klimawandel vermutlich durch das plötzliche Ausströmen großer Mengen Süßwassers aus den nordamerikanischen Gletscherseen (vor allem aus dem Lake Agassiz), das in den Nordatlantik floss und die thermohaline Zirkulation, also ein globales System von Meeresströmungen störte.
[4] WERTH, Prof. Dr. Emil; Grabstock Hacke und Pflug; Ludwigsburg 1954; Seite 391, oben
[5] Einen weiteren Hinweis auf frühe Landwirtschaft geben auch die Grabbeigaben, welche mit der Schamanin gefunden wurden: „eine Geweihhacke, ein geschliffenes Steinbeil“ [6] [oder eine geschliffende Hackenklinge?]. Die gefundene Geweihhacke (Hirschhornhacke) mit Bohrung für die Lochschäftung ist nach WERTH [4] definitiv ein Bodenbearbeitungsgerät.
[6] wikipedia-Artikel zu: Die Bestattung von Bad Dürrenberg ist eine mesolithische Doppelbestattung einer 25 bis 35 Jahre alten Frau und … (web. archive.org)
Presseinformation des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte – 16. September 2022 „Spektakuläre Neufunde beim Grab der Schamanin von Bad Dürrenberg“ html-Version
Zeittafel (hier auf dem inhortas-Blog)
Videos
Die Farbe Lila
Landesmuseum für Vorgeschichte Halle; Die Schamanin von Bad Dürrenberg: Spurensuche am Skelett der Schamanin
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