Mehr Infos zum Thema: Grabstock, Hacke & Pflug; Thesen von Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958)
Vorbemerkung
◾ Die runden, bauchigen und von Hand geformten Keramikgefäße vieler Pflanzer- und Hackbau-Kulturen, wie sie in den Publikationen des deutschen Agrarwissenschaftlers Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958) vielfach beschrieben wurden [1], weisen eine auffallende Ähnlichkeit zu den Flaschenkürbis-Gefäßen auf, die in frühen landwirtschaftlichen Gesellschaften weit verbreitet waren. Für Werth ist dies ein Hinweis darauf, dass die frühe Form des Landbaus ihren Ursprung in den Tropen hat. Eine seiner zentralen Thesen besagt, dass diese Form der Landwirtschaft vor 15.000 bis 20.000 Jahren (vermutlich sogar noch viel früher) im südostasiatischen Kulturraum begann und sich von dort aus weltweit in der Zone des sogenannten tropischen Hackbaugürtels verbreitete [2]. Und überall dort, wo sich diese Pflanzer-Kultur (ohne Pflug arbeitend) ausbreitete, findet sich auch diese merkwürdig-schöne, runde Grundform handgefertigter Keramik.
Pflanzer-Hackbauern in heutiger Zeit
Dass aber auch in heutiger Zeit traditionelle Pflanzer-Kulturen an dieser Kürbisform festhängen, mag das folgende Foto der afrikanischen Dogon-Baueren genügend beweisen (siehe auch den Dokumentarfilm im Anhang).
Männer einer Familie bei ihrer Hirse-Bier-Pause. Kalebassen- und Keramikgefäße der Dogon (Mali). Die Tonkrüge sind ohne Töpferscheibe von Hand geformt. |
Erinnert sei auch an viele der nordamerikanischen Indianerstämme, die heute zumindest noch in ihrer Traditionspflege mit Ofensteinen kochen, wofür sie teils auch eng geflochtene Korbgefäße nutzen (ebenfalls in Kürbisform) oder ihre rein handgeformte Keramik (Bildbeispiel unten).
Aber selbst frühe bäuerliche Gesellschaften, die bereits den pflügenden Ackerbau betrieben (allerdings noch keine Töpferscheibe kannten), übernahmen diesen Keramiktyp (Beitragsbild ganz oben).
Selbst eine ganze mitteleuropäische neolithische Kultur – die Kugelamphorenkultur (ca. 3450 v. Chr. bis 2600 v. Chr.) – hielt an dieser uralten Form fest.
Wie erwähnt, führte WERTH dieses Urtyp auf den Flaschenkürbis zurück. Ich möchte hierzu eine weiterführende These formulieren: Neben der kulturellen Übertragung gibt es sicher auch physikalische Gründe, welche diese gerundete Form von Gefäßen begünstigte, insbesondere in Bezug auf das Kochen mit erhitzten Steinen (Ofensteinen). Zunächst aber, möchte ich auf eine Merkwürdigkeit aufmerksam machen.
Tropische Keramik außerhalb der Tropen?
Merkwürdig scheint es zu sein, dass sich diese Formbildung in der Keramik aber auch dort noch lange Zeit erhalten hat, wo die Hackbautechnik (samt ihrer Kulturentfaltung) die tropische Klimazone schon tausende von Jahren verlassen hat. So entstammt das prägnante Keramikgefäß im Beitragsbild (ganz oben) einem nordischen Teil der sogenannten Schnurkeramikkultur (ca. 3000 bis 2200 v. Chr.).
Bereits in meinem Blog-Artikel vom 9.9.2024 [3] habe ich die unten hier nochmals abgebildeten linienbandkeramischen Gefäße aus Mitteldeutschland (um 5500 v. Chr.) als Beitragsbild gewählt, um zu zeigen, wie homogen diese uralte Pflanzer- und Hackbaukultur der Menschheit auch in seiner geographischen Ausdehnung war.
Gefäße der Linienbandkeramischen Kultur (LBK) aus Mitteldeutschland um 5500 v. Chr. |
Ebenso bemerkenswert ist die kulturelle Ausstrahlung der amerikanischen tropischen Hackbau-Kultur bis hinauf zu den Nordost-Waldland-Indianern (Northeast Woodland Tribes) oder östlich davon zu den Hopi und anderen Pueblo-Kulturen. Zu ihnen gelangte nicht nur die Kürbisform der Keramik, sondern auch die wichtigen tropischen Kulturpflanzen: Gartenkürbis, Gartenbohne und Mais!
All diese indigenen Völkerstämme verwendeten heiße Steine (siehe unten), um sowohl Gemüse als auch Fleisch zu garen. [ein kulinarischer Tipp: Rezept für eine Irokesen-Suppe]
So viel zu meiner Vorbemerkung, welche weitgehend die Forschungsarbeit von Prof. Werth erklärt, wobei nochmals zu bemerken ist, dass WERTH die Übertragung der Form als eine rein kulturelle Kontinuität bewertet.
Physikalische Gründe für die Kugelform der Keramik
Ich möchte jedoch zu dem bisher gesagten eine weitere These in den Raum stellen und das ist die folgende: Es gibt auch physikalische Gründe, welche diese runde Form der Gebrauchsgefäße begünstigten, vor allem in Bezug auf das Kochen mit erhitzten Steinen (Ofensteinen):
Flaschenkürbis-Gefäße
Flaschenkürbisse (Lagenaria siceraria) waren vermutlich schon immer in allen tropischen Kulturen zu Gebrauchsgefäßen umfunktioniert worden, denn ein ausgereifter Kürbis dieser Art braucht nur von seinem alten Fruchfleisch und Samen entleert zu werden und fertig ist ein ziemlich robustes Gefäß, was auch mit Wasser gefüllt eine gewisse Härte behält. Die robusten Gefäße lassen sich nicht nur leicht transportieren, sondern in ihrer weitgehend runden Form ideal zum Kochen mit erhitzten Steinen (Ofensteinen) verwenden.
Das Steingaren mit Ofensteinen
Das Kochen mit Ofensteinen ist eine traditionelle Technik, bei der Steine erhitzt und damit Flüssigkeiten zum Kochen gebracht oder unter die Nahrung (z.B. Fleisch) gelegt werden, um diese zu garen. Diese Methode wurde von verschiedenen Kulturen auf der ganzen Welt praktiziert, insbesondere von indigenen Völkern in Nordamerika, Polynesien und Asien.
Bei all diesen Techniken werden die Steine in offenen Feuerstellen erhitz. Sobald sie glühend heiß sind, werden sie in Töpfe oder Gruben mit Lebensmitteln gelegt, um durch die gespeicherte Hitze das Essen gleichmäßig und langsam zu garen. Manchmal wird die Methode auch als Heißstein-Kochen oder Steingaren bezeichnet.
Die Ofensteine bedingen eine optimale Wärmeabgabe
Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die Steine die Wärme kontinuierlich und gleichmäßig abgeben, was besonders bei der Zubereitung von Fleisch oder großen Mengen an Nahrung hilfreich ist. In vielen Kulturen wurde dies verwendet, um Suppen, Eintöpfe oder Getreide zu garen. Die Technik ist altbewährt und vielseitig anwendbar, besonders in Regionen oder zu Zeiten ohne Metallkochgeschirr.
Diese Technik ermöglicht es sogar in Gefäßen zu garen, welche keine Feuerfestigkeit aufweisen, eben wie in den erwähnten, Flaschenkürbis-Gefäßen oder Flechtkörben. In Kochgefäßen aus Keramik besteht die Möglichkeit (etwas ähnlich wie beim Dutch Oven) das Kochen auf dem Feuer und gleichzeitig mit dem heißen Stein zu kombinieren.
Ideal für das Heißstein-Kochen: Gefäße in Kugelform
Runde Gefäße ermöglichen eine gleichmäßige Wärmeverteilung im Inneren des Gefäßes. Besonders beim Kochen mit heißen Steinen, wie es in frühen landwirtschaftlichen Gesellschaften üblich war, sorgt eine bauchige Form dafür, dass die Hitze im Gefäß zirkuliert und nicht nur auf den Boden des Gefäßes beschränkt bleibt. Das führt zu einem gleichmäßigen Garen der Speisen.
Geringe Oberfläche:
Eine bauchige Form maximiert das Volumen bei gleichzeitiger Minimierung der Oberfläche des Gefäßes. Dies reduziert Wärmeverlust, da weniger Oberfläche mit der Umgebung in Kontakt steht. Ein flaches oder weites Gefäß hingegen würde mehr Wärme abgeben und eine längere Kochzeit erfordern.
Stabilität und optimale Größe:
Die runde, bauchige Form sorgt auch für eine höhere Stabilität der Keramik. Sie kann auf Steinen oder im Feuer positioniert werden, ohne leicht umzukippen. Die Form bietet sich besonders in Situationen an, in denen improvisierte Kochstellen (Steine, Erdmulden) verwendet wurden.
Ein rundliches Gefäß für das Kochen mit heißen Steinen müsste grob geschätzt einen Durchmesser von etwa 30 bis 40 Zentimeter haben, um für den täglichen Gebrauch praktisch zu sein. Diese Größe würde ausreichen, um mehrere Steine aufzunehmen, die das Essen gleichmäßig garen können, und genug Platz bieten, um verschiedene Lebensmittel in einer angemessenen Menge zuzubereiten. Die tatsächliche Größe hängt jedoch von der Anzahl der Personen und der Art der Zubereitung ab, kann also variieren.
Keramik der Hopi-Indianer |
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die runden, bauchigen Keramikgefäße in den besagten tropischen Hackbau-Kulturen zwar traditionell auf die Verwendung von Kürbissen zurückzuführen sein könnten und es vermutlich aus sind, ihre Form jedoch auch physikalische Vorteile bot. Diese Vorteile, insbesondere in Bezug auf die Wärmeverteilung und die Stabilität beim Kochen mit Ofensteinen, könnten erklären, warum diese Formen-Urtyp auch bei der Herstellung von Tongefäßen lange beibehalten wurde. Die Verbindung von Tradition und Physik bietet hier eine umfassendere Erklärung für die Formgebung dieser Gefäße.
Quellen und weitere Hinweise
[1] Diese These findest sich in den Arbeiten des deutschen Agrarwissenschaftlers Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958) und insbesondere auf sein 435-seitiges Lebenswerk “Grabstock, Hacke und Pflug” von 1954 [1]. Es ist allerdings so, dass WERTHs Thesen und hochinteressanten Forschungen mit seinem Tode rasch in Vergessenheit gerieten. Gern möchte ich diese Arbeiten wieder in Erinnerung rufen und – so es mir möglich ist – an der einen oder andere Stelle weiterführen.
[2] Nach WERTH entwickelte sich dann der pflügende Ackerbau in den kühleren Klimazonen Nord-Ost-Indiens und breitete sich von dort nach Westen (Anatolien), Norden (Zentralasien) und Ostasien aus.
Und: Die Dogon in Westafrika. Eine spannende Dokumentation in Sachen Gartenbaugeschichte über eine typische Pflanzer-Hackbau-Kultur.
Dokumentation aus dem Jahre 2003 „Landwirtschaft am Rande der Sahara“. Dieses Filmdokument zeigt uns beispielgebend die Effizienz und weltanschauliche Tiefe dieser und vieler anderer alten Agrarkulturen in allen ihren Einzelheiten, welche vom WERTH den tropischen Hackbau-Kulturen zugeordnet werden.
Originaltitel: Gewebte Erde – Die Haut der Erde oder der letzte Dreck; Ein Film von Peter Heller ©2003 Lizenz Filmkraft Peter Hell.
Bildnachweise:
Strichbündel-Amphore
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Danneil-Museum_035.JPG
https://nat.museum-digital.de/object/166969
Biertrinker auf dem Markt. Tireli, Mali 1980
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ASC_Leiden_-_W.E.A._van_Beek_Collection_-_Dogon_markets_23_-_Men_from_one_lineage_sharing_a_jar_of_beer_at_the_Market._Tireli,_Mali_1980.jpg
Linienband-Keramik
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:LBK-Pottery.jpg
Hopi-Keramik
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hopi_canteen_p1070217.jpg