Bild: Die Zwiebel hat ihren eigenen Kalender. Beachten wir ihn, dann gärtnern wir mit der Natur und nicht gegen sie…
➡️ Die Küchenzwiebel (Allium cepa) ist eine erstaunlich präzise Pflanze, was ihr „Gefühl“ für Licht und Zeit betrifft. Ob sie eine kräftige, feste Knolle („Bolle“) bildet oder nur Blattmasse, hängt wesentlich von der Tageslänge ab. Dieses Phänomen wird als Photoperiodismus [1] bezeichnet – die biologische Reaktion einer Pflanze auf die relative Länge von Tag und Nacht [2].
Die Zwiebel benötigt für die Knollenbildung einen langen Tag (und entsprechend eine kurze Nacht). Je länger es in ihrer Hauptwachstumszeit hell ist, umso besser entwickeln sich die Speicherorgane nach unseren Wünschen.
Deshalb gelingt in nördlicheren Regionen, wo die Sommertage extrem lang sind, die Bulbenbildung besonders gut [3]. Weiter südlich oder gar in Äquatornähe dagegen bleiben die Zwiebelbollen kleiner und müssen schneller verbraucht werden. Die Zwiebel hat sich dort an kürzere „kritische“ Tageslängen angepasst, aber die Knollenbildung wird früher ausgelöst und fällt kleiner aus. Warum ist das so?
Zwiebeln reagieren auf den Tag – der Photoperiodismus
Zwiebeln gehören zu den Pflanzen, die ihre Entwicklungsprozesse nicht nur an Temperatur [7] oder Bodenfeuchte knüpfen, sondern besonders an die Dauer des Tageslichts [2]. Viele unserer klassischen Küchenzwiebelsorten sind deshalb sogenannte Langtag-Zwiebeln [4]. Sie beginnen erst dann mit der Knollenbildung, wenn die Tage länger als etwa 14 bis 16 Stunden sind.
In Nordeuropa oder Kanada sind solche Tageslängen im Frühsommer normal – dort bilden diese Sorten zuverlässig dicke Bollen. Am Äquator hingegen dauern die Tage ganzjährig etwa 12 Stunden. Für Langtagzwiebeln ist das „zu wenig“: Sie wachsen weiter, treiben Blatt für Blatt, legen aber kaum eine Knolle an.
Seit es spezielle Kurztag-Zwiebelsorten gibt, ist dieses Problem zwar entschärft, doch erreichen Zwiebeln, die in den Tropen angebaut werden, nicht die Lagerqualität der nördlichen Anbaugebiete [4].
Deshalb werden in tropischen Regionen Kurztagzwiebeln angebaut – Sorten, die schon bei 10–12 Stunden Tageslänge zur Bulbenbildung übergehen.
Botaniker nennen diese Mechanismen, wie bereits erwähnt Photoperiodismus [1].
Wie entstand die Langtag-Eigenschaft ursprünglich?
Um zu verstehen, warum Zwiebeln auf lange Tage angewiesen sind, lohnt ein Blick in ihre Urheimat. Botaniker vermuten den Ursprung der Küchenzwiebel in einem Gebiet, das sich grob über Iran, Afghanistan, Turkmenistan und Pakistan erstreckt – ein trockenes, kontinentales Hochland- und Steppenklima.
Dort herrschen:
- kalte Winter
- trockene, heiße Sommer
- stark zunehmende Tageslängen im Frühling
Für die wilde Zwiebel [6] bedeutete das: Sie musste rechtzeitig vor der großen Sommerdürre ein Speicherorgan ausbilden, um die Hitzeperiode zu überstehen. Dafür brauchte sie ein verlässliches Signal, das Jahr für Jahr exakt zur gleichen Zeit auftritt.
Temperaturen schwanken stark – mal ist der Frühling warm, mal kalt. Die Tageslänge aber ist ein absolut präziser, immer gleichbleibender Kalender.
Warum lange Tage ein perfektes Signal waren
Erst wenn die Tage eine bestimmte Länge überschritten, „wusste“ die Pflanze:
Jetzt beginnt der Frühsommer – Zeit, die Knolle auszubilden, bevor es trocken wird.
Pflanzen, die zu früh einlagerten, bildeten nur kleine Knollen. Pflanzen, die zu spät reagierten, vertrockneten. Dadurch setzte sich evolutionär die Langtag-Reaktion durch: Die Ausbildung der Zwiebelknolle beginnt erst bei langen Tagen.
Was heißt das für den modernen Anbau?
- Nordeuropa: Langtagzwiebeln sind ideal – sie bilden große, feste Lagerzwiebeln.
- Mittelmeerraum: Zwischentag- oder frühe Kurztagtypen funktionieren besser.
- Tropen: Nur Kurztagzwiebeln bilden zuverlässig Knollen, aber kaum Lagerware.
Der Photoperiodismus erklärt also nicht nur das heutige Anbauverhalten, sondern spiegelt auch die evolutionäre Geschichte der Zwiebel wider.
Was ist das nützliche Wissen für uns?
Für uns als Gärtner ist vielleicht weniger relevant, welche Sorten im tropischen Raum angebaut werden. Doch das Beispiel der Zwiebel macht grundlegend verständlich, wie Langtagspflanzen funktionieren.
Gerade Pflanzen, die die langen Sommertage zur Ausbildung von Speicherorganen nutzen, akkumulieren für sich – und für uns – besonders wertvolle Nährstoffe. Diese Gemüse gehören bei uns in den frühen Anbau, der die 50 bis 60 langen Tage rund um Mittsommer, also das „Sonnenplateau“ des Lichtsommers, als Hauptreifezeit nutzt.
Zu diesen Pflanzen zählen auch:
- Knoblaucharten (Allium spp.)
- Petersilienwurzel (Petroselinum crispum var. tuberosum)
- Rote Bete (Beta vulgaris subsp. vulgaris)
All diese Gemüse stammen aus der Steppe – ich nenne sie für mich Steppengemüse, genauer: Steppen-Speichergemüse. Sie werden, ebenso wie die Zwiebel, durch die Länge des Tageslichts gesteuert. Der Anbau gelingt bei uns am besten in der ersten Jahreshälfte. Das entspricht ihrer Natur.
Und wenn heute oft betont wird, dass wir „mit der Natur“ gärtnern sollten statt gegen sie, dann ist die Zwiebel tatsächlich ein hervorragender Lehrmeister dafür.
Und noch eine zweite Erkenntnis zum Schluss:
So wie die Küchenzwiebel ihren besonderen Lebenszyklus hat, den wir für sichere und hohe Erträge nutzen sollten, gilt das auch für die meisten unserer Gartengemüse.
Mein Vorschlag ist daher, dass wir uns gerade im Eigenanbau im Kleingarten stärker auf diese natürlichen Anbau-Optima konzentrieren. Das bedeutet, nicht jedes Gemüse zwangsläufig zu jeder theoretisch möglichen Zeit anzubauen, sondern – und ich wiederhole mich hier gern:
Wir sollen mit der Natur gärtnern – und das heißt: zur richtigen Zeit, das richtige Gemüse – saisonal und naturgemäß kultivieren.
Anmerkungen
[1] Photoperiodismus bezeichnet in der Botanik die Reaktion von Pflanzen auf die relative Länge von Tag (Licht) und Nacht (Dunkelheit). Diese Fähigkeit ermöglicht es Pflanzen, Prozesse wie die Blütenbildung (photoperiodic induction) und das Auslösen der Winterruhe oder das Abwerfen von Blättern (bei Laubbäumen) an die Jahreszeiten anzupassen. Pflanzen werden dabei in Kurztagspflanzen (blühen, wenn die Nacht eine kritische Länge überschreitet) und Langtagspflanzen (blühen, wenn die Nacht kürzer als eine kritische Länge ist) eingeteilt.
[2] Wichtig ist bei Langtagpflanzen wie der Zwiebel oft nicht nur die Länge des Tageslichts, sondern vor allem die kurze Nacht (Dunkelphase < 10–12 Stunden). Die Photorezeptoren der Pflanze (z. B. Phytochrome) reagieren empfindlich auf diese Unterbrechung der Dunkelheit. Dem entsprechend wäre der Ausdruck Kurznachtpflanzen eigentlich korrekter, doch man bleibt vermutlich weiterin in der wissenschaftlicher Umganssprache bei der Langtagpflanze…
[3] Selbst in Deutschland ist um Mittsommer der Tag im äußersten Norden etwa eine Stunde länger als im äußersten Süden.
[4] Genauer gesagt: Die Küchenzwiebel ist ihrer Herkunft (Zentralasien) nach eine Langtagpflanze.
[5] Deshalb wird in den Tropen bevorzugt die Grüne Zwiebel (Lauchzwiebel, Allium fistulosum) angebaut – die Energie fließt dort in das Blattwerk, nicht in ein Speicherorgan.
[6] Interessant: Wilde Zwiebeln existieren heute nicht mehr. Die Küchenzwiebel gehört daher zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt; ihre Urform muss durch lange Nutzung verloren gegangen sein.
[7] Ergänzend ist noch auf die Vernalisation hinzuweisen. Die Knollenbildung wird durch den langen Tag (Photoperiodismus) ausgelöst. Die Blütenbildung (das Schossen), die meist im zweiten Jahr stattfindet, wird hingegen durch den Kältereiz (einen überstandenen Winter) ausgelöst. Dieser Prozess wird Vernalisation genannt. Für die Behandlung der Steckzwiebeln ist das Wissen um all diese Prozesse wichtig.