Vorbemerkungen
◾ Immer wieder stellt sich die Frage, wie wir uns die Gärten und die Lebensweise der Germanen und unserer indigenen „First Nations“ in Europa vorstellen können. Da auch ich großes Interesse an diesem Teil der Agrargeschichte habe – insbesondere an den wirtschaftlichen Grundlagen unserer Vorfahren – habe ich mich auf diesem Blog bereits intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Zwar verfüge ich noch nicht über sehr detaillierte Vorstellungen, doch habe ich durch logische Überlegungen klare Grundzüge entwickelt.
Wenn es heißt, dass die Germanen um 100 v. Chr. in relativ kleinen, verstreuten Siedlungseinheiten lebten, oft inmitten ausgedehnter Wälder [1], so lässt sich daraus einiges ableiten. Angesichts der Lebensweise in diesen Siedlungsräumen die wohl eher am Rande größerer Waldgebiete lagen* – geprägt durch Brandrodung, Waldweide und Niederwaldwirtschaft – scheint es naheliegend, dass diese Agrartechniken eng mit den Siedlungsgrößen der Germanen verbunden waren [2].
*Mittlerweile habe ich meine Ansicht korrigiert, siehe „Germanen lebten nicht im Wald“ (22.10.2014)
Meine These
Ich vertrete die These, dass die Germanen unter anderem eine äußerst effiziente Form der „wandernden Brandrodungswirtschaft“ (shifting cultivation, slash-and-burn) praktizierten, eine Technik, die bisher vor allem mit indigenen Völkern tropischer Länder assoziiert wird.
Friedrich August Pinckerts Brenn-Kultur
In diesem Zusammenhang habe ich begonnen, die hochinteressanten Schriften des Gutsbesitzers und Ökonomen Friedrich August Pinckert [3] aus den Jahren 1846 und 1861 zu studieren und hier auf dem Blog teilweise zu kommentieren. Pinckert scheint einer der wenigen Theoretiker und Praktiker gewesen zu sein, die sich umfassend mit der Brennkultur (Brandfeldbau, Brandhackbau) beschäftigt haben. Seine Werke bieten nicht nur eine Zusammenfassung des damaligen Wissens, sondern zeigen auch die qualitative Bandbreite dieser Techniken – von sehr nützlich bis potenziell schädlich. Ich lade daher die Leser ein, weiterhin den Blogbeiträgen zu PINKCHERTs Publikationen zu folgen.
Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958), Verbreitung verschiedener Agrartechniken
Ebenso wichtiges wissenschaftliches Quellenmaterial finden wir bei dem deutschen Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958). In seiner bedeutenden Publikation „Grabstock, Hacke und Pflug“ (1954) [4] untersucht Werth die Verbreitung verschiedener Agrartechniken weltweit und bietet interessante Thesen zum Verständnis unserer Vorfahren an, die heute kaum noch diskutiert werden. So sieht er etwa in der heutigen Almwirtschaft Relikte einer einstigen Hirtennomadenkultur, die ihren Feldbau in einer Art Teil-Sesshaftigkeit betrieben.
Übrigens: Es ist bekannt, dass die Kultur der Indogermanen stark durch eine besondere Hirtennomaden-Kultur geprägt war – ein Erbe, das sich in seiner Spiritualität wohl bis in unsere Zeit fortsetzt; was wir ebenfalls im Auge behalten sollten.
Schwendbau
Besonders interessant ist wiederum die Verbindung zwischen Almwirtschaft und Schwendbau (Brandfeldbau), wie sie etwa im „Rütibrennen“ der Almbauern oder in der Haubergswirtschaft im Siegerland zu finden ist.
Der Schwendbau [5] bezeichnet eine Form der Brennkultur in Niederwaldflächen, bei welcher die Baumstümpfe im Boden verbleiben und später nach der landwirtschaftlichen Nutzung des Landes wieder austreiben können. Nach dem Aufgeben der Felder, also der Brache entwickeln sich zunächst Wiesen und Büsche (auch Himbeeren und Brombeeren) und es entsteht wertvolles Weideland. Daraufhin wächst wieder ein Niederwald auf; meist mit schnell-wachsenden Gehölzen, wie Birke und Hasel. Deren Laub nimmt man als Viehfutter, die Haselnüsse als Winternahrung und das Holz für die Feuerung und irgendwann beginnt der Nutzungskreislauf von vorn. Man schlägt das buschige Holz, lässt es trocknen, legt es reihenweise wallähnlich übereinander und zündet es an. Dann rollt man (meist machend das allerdings Frauen!, Siehe Bild unten) die brennenden Holzwälle über das zu brennende Land bis zu den nächsten Wall, der dann wieder Feuer fängt u.s.w. (siehe PINCKERT, Seite 79, „Das Rödungsbrennen in Liveland)
1893: Finnische Frauen beim Schwenden https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Slashing-and-burning.jpg |
Pflanzer oder Bauer
Kommen wir aber noch einmal auf Prof. Werth zurück. WERTH differenziert in seinen Arbeiten, wenn er den Landbau der verschiedenen Völker betrachtet, immer klar zwischen dem ursprünglichen tropischen Hackbau und dem daraus entstandenen Pflugbau (Nordwest-Indien), der sich in der Jungsteinzeit rasch nach Eurasien ausbreitete.
Dabei beschreibt er den Pflanzer (vergleichbar mit dem Gärtner) als denjenigen, der den Hackbau betreibt, während der Bauer sät und die Zugkraft von Tieren nutzt. Neben diesen Wirtschaftsformen und der älteren Jäger-Sammler-Kultur existierte die Hirtennomadenkultur, die in manchen Epochen sogar wohlhabender war als die sesshaften Bauern. Natürlich gab es Vermischungen und Überschneidungen all dieser Agrarkulturen, und der Gartenbau als Relikt des Hackfeldbaus blieb auch bei den bäuerlichen Pflugfeldbauern erhalten.
Wir behalten von diesen Möglichkeit vor für unser Thema die Pflanzer im Auge.
Der Brandfeldbau der Pflanzer
Aus wissenschaftlichen Kreisen [6], die sich mit der Brandfeldwirtschaft beschäftigen, erfahren wir weiterhin, dass diese eng mit dem Hackbau verbunden ist. Hackbauern sind Pflanzer, und Pflanzer sind im Grunde Gärtner. Obwohl die Germanen ihre Felder mit dem Pflug bestellten, scheinen sie das Wissen einer uralten Hackbau-Brenn-Kultur bewahrt zu haben. Und damit sind wir dem Thema „Garten der Germanen“ schon sehr nahe gekommen.
Schwendbäuerin, Pflanzerin, Gärtnerin
In einem Punkt kann ich schon mal weiteren Spekulationen vorgreifen, die ich noch publizieren werde. Genau genommen – und in diesem Falle fern von ein Zwang jämmerlich gendern zu müssen – sollte ich eigentlich die Beitragsüberschrift “Schwendbauer, Pflanzer, Gärtner” hin zu “Schwendbäuerin, Pflanzerin, Gärtnerin” korrigieren, denn bei den Germanen (und im Altertum überhaupt bei fast allen Völkern üblich) waren diese Tätigkeiten den Weibern zugeordnet. Die Männer pflügten, kümmerten sich um die Viehherden, gingen auf die nötige Jagd und übten das Kriegshandwerk aus, wobei natürlich auch hier in jeden Tätigkeiten Überschneidungen stattgefunden haben mögen.
Vorgreifen möchte ich auch meiner Annahme, dass unsere indigenen Vorfahren ihr Agrarsystem und ihre Art zu leben, ziemlich optimiert haben und deshalb lange Zeit am zivilisatorischen Leben z.B. der Römer kaum Interesse zeigten, da sie in ihrer eigenen Welt in größtmöglicher Freiheit und sozialer Anerkennung lebten. Und: Vermutlich war ihr Alltag gar nicht so mühevoll, wie uns oft glaubend gemacht wird.
Literatur und Ergänzungen
[1] Siedlungsplätze im Wald von knapp anderthalb Kilometer Durchmesser und 200 Bewohner (10 bis 20 Haushalte a 12 Personen. Dabei müssen wir uns den direkt umgebenden Wald aber zunächst als
stark aufgerichtete Niederwälder und Hutewälder (Waldweide) vorstellen.
[2] Wobei natürlich immer auch davon ausgegangen werden muss, dass neben dem Landbau und Viehhaltung Fischfang, Jagd und Sammeln der Waldfrüchte (Feldbeuterei) stattfinden.
[3] PINCKERT, Friedrich August; Die vollständige Brenn-Cultur in der Landwirthschaft [Die vollständige Brenn-Kultur in der Landwirtschaft]; Berlin 1861
https://books.google.de/books?id=ffD-ZcYoblkC
Weitere Literatur von PINCKERT im Blog-Artikel vom 1.8.2024
[4] WERTH, Prof. Dr. Emil; Grabstock Hacke und Pflug; Ludwigsburg 1954
[5] Schwendbau könnten wir auch mit „Schnell-Anbau“ übersetzen: mittelhochdeutsch geswinde für schnell, geschwind. Es war eine Methode Anbauflächen schnell urbar zu machen, bzw. schnell nutzen zu können, wenn beispielsweise Verluste in den Viehherden ausgeglichen werden mussten. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwendbau
[6] RÖSCH, Manfred und HEUMÜLLER, Kristine; Vom Korn der frühen Jahre Sieben Jahrtausende Ackerbau und Kulturlandschaft; Esslingen 2008; Seite 41 ff