Atlantis und Megalith-Europa und ein Buch von Prof. Helmut Tributsch. Noch immer aktuell.

Newgrange Symbolbild

Bild: Der megalitische Grab-Tempelbau Newgrange (im irischen County Meath), der heute rekonstruiert besichtigt werden kann. Hier in meiner Darstellung liegt er allerdings fiktiv in der Nähe des Meeres.

Etliche der Megalithanlagen waren auf diese Weise eindrucksvoll vom Meer aus sichtbar und beeindruckten fremde Besucher des Landes…

[Übersicht: Megalithiker]

Buchrezension

Dem aufmerksamen Leser meiner Publikationen auf Inhortas.de dürfte nicht entgangen sein, dass ich eine besondere Faszination für die geschichtlichen Hintergründe der sogenannten Megalithkulturen hege.

Dabei handelt es sich um vorgeschichtliche Kulturen, die durch monumentale Steinbauten auffallen – gigantische Konstruktionen, geschaffen aus tonnenschweren Blöcken, die oftmals nicht nur architektonische, sondern auch logistische Meisterwerke darstellen. Hier stelle ich eine, nach meinem Urteil überaus nützliche Publikation vor, auf welche ich künftig noch mehrfach verweisen und detaillierter eingehen werde.

Es handelt sich um den Titel „Die gläsernen Türme von Atlantis · Erinnerungen an Megalith-Europa“ (1986) von Prof. Dr. Helmut Tributsch, der sich hier auf seiner Website selber vorstellt: helmut-tributsch.com

 

Cover Die Türme von Atlantis
Die gläsernen Türme von Atlantis. Ein Taschenbuch Prof. Helmut Tributsch (1986). Antiquarisch ist es noch zu bekommen.

Didaktische Brillanz und wissenschaftliche Verknüpfung

Zwar mag der Titel des Buches zunächst wenig spektakulär erscheinen, doch entpuppt sich dieses Taschenbuch als didaktisch brillantes Kompendium über die sagenumwobene Kultur des Megalith-Europas.
TRIBUTSCH gelingt es, die verstreut vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese alte euro-afrikanische Zivilisation zu einem schlüssigen und anschaulichen Gesamtbild zusammenzuführen.

Durch die Verknüpfung mit der legendären Atlantis-Zivilisation – unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich um jene von Platon beschriebene Kultur handelt – schafft er ein konkretes Vorstellungsgerüst, an dem sich die verschiedenen Fakten der Archäowissenschaften und der Mythenforschung (Ethnoarchäologie) spielend verknüpfen lassen.

Selbst wenn der Atlantis-Mythos in seiner ursprünglichen Form lediglich eine Erzählung bleiben mag, bietet TRIBUTSCH doch eine greifbare Grundlage, um diese alteuropäische Hochkultur und Zivilisation – in Form einer begründeten These – im Licht moderner Wissenschaft neu zu deuten.

1. Prolog

Trotzdem halte ich das Buch für wissenschaftlich verfasst, obgleich der Autor – genial gewählt – mit einem narrativen Einstieg beginnt. Er tut das mit einer fiktiven, prologartigen Erzählung: der Reise des jungen Pythagoras zu den Druiden, inklusive einer kurz gehaltenen, fast hollywoodreif inszenierten Lovestory. Damit schafft TRIBUTSCH zunächst einen emotionalen Zugang und führt die Leser auf ungewöhnlich anschauliche Weise in die Thematik ein.

2. Der Mythos

In der Publikation folgt dann die komplette Aufzeichnung von Platons Atlantismythos, der in den Originalschriften nicht zusammenhängend überliefert ist, sowie weitere Erwähnungen der Atlantiszivilisation durch antike Autoren. Schon allein diese Zusammenstellung der Quellen – ergänzt um Hintergrundinformationen – macht das Taschenbuch zu einem nützlichen Wissenskompendium.

Zudem ist es sinnvoll, einen Mythos in seiner vollständigen Gestalt auf sich wirken zu lassen – und zwar so, wie es einem Mythos zukommt: als Verdichtung von Erinnerung, Symbolik und kulturellem Selbstverständnis. Denn Mythen sind nicht bloß erfundene Geschichten, sondern Ausdruck einer tieferliegenden Wirklichkeit, die sich in Bildern und Erzählungen spiegelt. Sie transportieren kollektives Wissen, das oft auf tatsächliche historische Erfahrungen verweist – auch wenn es uns heute nur noch in poetischer Form begegnet.

So gesehen, eröffnet die mythische Überlieferung von Atlantis nicht nur eine spekulative, sondern auch eine archäologisch-psychologische Perspektive: Sie erlaubt, über die Grenzen des rein Faktischen hinauszudenken und zu fragen, welche Erinnerungen an eine frühe europäische Zivilisation sich möglicherweise in diesen Erzählungen erhalten haben.

3. Luftspiegelungen und gläseren Türme

Anschließend stellt der Autor die These auf, dass das Phänomen der Luftspiegelungen, die an der Atlantikküste häufig auftreten, möglicherweise Einfluss auf das religiöse Weltbild der Menschen vor rund 6000 Jahren hatte.

Er legt nachvollziehbar dar, dass Luftspiegelungen – etwa Fata Morganas – von frühen Kulturen als göttliche Zeichen, himmlische Botschaften oder eben als „gläserne Türme“ gedeutet worden sein könnten.

Gerade in heißen oder wechselhaften Klimazonen, wo entfernte Objekte durch Lichtbrechung verzerrt erscheinen, mögen solche Erscheinungen als Manifestationen von Göttern oder heiligen Orten verstanden worden sein – und so religiöse wie mythologische Vorstellungen geprägt haben.

Der Ansatz ist einladend: Statt die einzelnen Resultate archäologischer Forschung isoliert zu betrachten, verbindet TRIBUTSCH sie zu einem größeren Narrativ, das nicht nur plausibel, sondern auch inspirierend wirkt. Er zeigt, wie man archäologische Einzelinformationen in einer Gesamtschau denken kann – ein Ansatz, den ich ausdrücklich begrüße.

Gerade solche Thesen eröffnen eine neue Form des Denkens über vergangene Kulturen – im klaren Gegensatz zu jener fragmentierten Wissensvermittlung, die ich an anderer Stelle bereits mehrfach kritisiert habe.

4. Eine Zivilisation von weltgeschichtlicher Bedeutung

Nun aber zum Kernteil des Buches, der die alte megalithische Hochkultur Westeuropas beschreibt. Der Autor stützt sich dabei vollständig auf den archäologischen Wissensstand der frühen 1980er Jahre – und bemerkenswerterweise unterscheidet sich dieser in seinen Grundzügen kaum vom heutigen Stand der 2020er. Zwar ist seither neues Wissen hinzugekommen, doch selbst die moderne Archäogenetik hat die wesentlichen Aussagen der Publikation nicht widerlegt, sondern im Gegenteil ergänzend bestätigt.

Von den zahlreichen Beschreibungen der kulturellen Leistungen und Eigenarten der westeuropäischen Megalithiker kann ich hier nur ein Beispiel herausgreifen. Tributsch zeigt nicht nur die beeindruckenden Dimensionen der Großsteinbauten, Tumuli und Cairns auf, sondern liefert auch eine faszinierende Berechnung der dafür benötigten Arbeitsleistung.

Besonders aufschlussreich ist seine Analyse der enormen Arbeitsstunden, die für religiös motivierte Bauprojekte wie etwa den Silbury Hill in Wiltshire (England) erforderlich waren. Nach seinen Berechnungen wurden für diesen Hügel rund 18 Millionen Arbeitsstunden aufgewendet – das entspräche etwa 500 Männern, die 15 Jahre lang ununterbrochen arbeiteten, um 248.000 Kubikmeter Erde und Kalkstein zu bewegen und in Form zu bringen.
(Was mich besonders interessiert: Diese gewaltige Arbeitszeit fehlte zugleich der Landwirtschaft – ein Aspekt, der Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Organisation erlaubt.)

Berücksichtigt man schließlich die schiere Zahl der erhaltenen Relikte – mindestens 35.000 Großsteinbauten, wie Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg in einer neueren Studie darlegt – dann wird deutlich: Wir sprechen hier nicht von einer Randnotiz der Geschichte, sondern von einer prä-ägyptischen europäischen Zivilisation, die von weltgeschichtlicher Bedeutung gewesen sein dürfte.

5. Die Pythagoräer

Am Ende des Buches (ab Seite 298) geht Tributsch nochmals auf „die Pythagoräer als Erben der Atlantis-Religion“ ein. Er schreibt, dass der Grieche Pythagoras mindestens zweimal nach Gallien gereist sei, um dort bei den Druiden zu studieren. Selbst der frühchristliche Philosoph und Theologe Clemens von Alexandria habe bestätigt, „dass Pythagoras seine Lehre von den Druiden übernommen haben soll“ (S. 299).

Von den Druiden wiederum nimmt Tributsch an, dass sie in ihren Lehren einen Teil der megalithischen Denkart bewahrt haben könnten – wobei ein überkommener Aspekt dieser Tradition vermutlich gerade der bewusste Verzicht auf Schriftlichkeit gewesen sei.

Daraus ergibt sich, wie ich meine, die logische Konsequenz, dass eine Kultur auf einer so hohen Entwicklungsstufe wie die der europäischen Megalithiker – trotz des Fehlens schriftlicher Überlieferung – ihr Wissen und Können auf andere Weise weitergegeben haben musste.

Dies könnte durchaus in Form von Einweihungswissen geschehen sein, also durch mündliche und rituelle Weitergabe – ähnlich wie bei den Pythagoräern oder den mittelalterlichen Freimaurerzünften, die bekannterweise ebenfalls einen Einweihungskult pflegten.

Noch eine Notiz zum Schluss: megalithische Bautrupps

Mein Gedanke an die mittelalterlichen Werk-Zünfte scheint mir in diesem Zusammenhang nicht völlig abwegig. Am Ende der Lektüre kam mir nämlich unweigerlich die sogenannte Bautrupptheorie des Prähistorikers Ewald Schuldt in den Sinn.

Schuldt hatte beobachtet, dass bestimmte Megalithanlagen in verschiedenen geographischen Regionen ähnliche Bauweisen, Maße (!) und Detailausführungen aufweisen. Diese Übereinstimmungen deuten darauf hin, dass dieselben oder zumindest gleichartig geschulte Baugruppen an unterschiedlichen Orten tätig waren – also eine Art überregionaler, spezialisierter bauhandwerklicher Elite existiert haben muss. Und das markiert eine Hochkultur, ob wir nun wollen oder nicht.

Quellen, Erläuterungen

[1] TRIBUTSCH, Helmut; Die gläsernen Türme von Atlantis · Erinnerungen an Megalith-Europa; Frankfurt/M und Berlin, 1986

https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Tributsch

[2] Ewald Schuldt (1914–1987), ein bedeutender deutscher Prähistoriker, entwickelte die sogenannte „Bautrupptheorie“, um die Errichtung der Großsteinbauten der Megalithkulturen zu erklären. Nach dieser Theorie arbeiteten spezialisierte Gruppen, sogenannte Bautrupps, die aus erfahrenen Handwerkern, Steinmetzen und Hilfskräften bestanden, gezielt an der Planung und Errichtung von Megalithanlagen. Man mit Standardmaßen! Schuldt argumentierte, dass solche Gruppen nicht nur über technisches Know-how verfügten, sondern auch organisiert waren, um Arbeitskraft, Ressourcen und Logistik effizient zu bündeln.

Diese Theorie widerspricht der Vorstellung, dass Megalithbauten ausschließlich in gemeinschaftlicher, unorganisierter Arbeit lokaler Dorfgemeinschaften entstanden. Vielmehr deutet sie auf überregionale Netzwerke und eine hierarchische Organisation innerhalb der jungsteinzeitlichen Gesellschaft hin – kurz gesagt auf staatliche und gewisserart auch auf „rechtsstaatliche“ Strukturen. Des Weiteren erklärt die Hypothese den verzahnten kultureller Austausch über große Entfernungen: Die Wanderungen dieser Bautrupps könnte also den Austausch von Wissen, Techniken, und kulturellen Praktiken erklären.
WILLIG, Hans-Peter; Nordische Megalitharchitektur (und Bautrupptheorie); evolution-mensch.de

  • https://www.scinexx.de/news/geowissen/megalith-kultur-von-steinzeit-seefahrern-verbreitet/
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Ewald_Schuldt
  • https://atlantisforschung.de/

Erstveröffentlichung: 28.1.2025, überarbeitet am 13.10.2025

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