Übersicht: Megalithkulturen [Das P.S. vorweg – Meine Betrachtungsweise thematisiert am Ende immer die Frage: Wie erbrachte man die nötigen Kalorien, um derartige Bauwerke zu errichten?]
◾Hier stelle ich eine hochinteressante Videodokumentation vor, in der aus den Kreisen der klassischen Archäologie endlich ein zusammenfassender Bericht über den aktuellen Stand der vorgeschichtlichen Forschung zur Entstehung der europäischen Megalithkultur gegeben wird. Auf das bisherige Fehlen einer solchen Publikation wurde ich aufmerksam, als am Ende der Dokumentation die Frage nach den aktuellen Publikationen gestellt wurde. Konkret lautete die Frage, welche Übersichtswerke zum aktuellen Stand der Wissenschaft existieren. Darauf antwortete der Referent, Prof. Dr. Johannes Müller [2], recht eindeutig: Keine. Und genau das macht diese Dokumentation so interessant.
2) Dolmen von Vaon im Pariser Becken. |
Im Übrigen ist diese Videodokumentation auch nur dem Umstand zu verdanken, dass es sich um einen Fachvortrag während der Corona-Zeit handelt, der digital über YouTube gehalten wurde, weil er ohne Publikum stattfinden musste. In diesem Fall fand der Vortrag im Rahmen einer Sonderausstellung des LWL-Museums für Archäologie am 16. Dezember 2021 in Herne statt. Der Vortrag war Teil der damaligen Sonderausstellung „Stonehenge“.
Video: Frühe Megalithen in Europa
Kanal LWL-Museum für Archäologie und Kultur; 16.12.2021
Video, Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=i_pnp9GVSbY
Bisher allgemein Bekanntes zur Entstehung und Verbreitung der Megalithkultur in Westeuropa
Die Megalithkultur entwickelte sich während der Jungsteinzeit (Neolithikum), einer Epoche, in der die Menschen von nomadischen Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern übergingen. Dieser Übergang wurde zunächst von einer ersten Ausbreitungswelle von Bauern getragen, die genetisch aus Anatolien stammt. Diese jungsteinzeitlichen Bauern brachten nicht nur ihre Agrarkultur – zunächst in Form von pfluglosem Hackbau – mit, sondern auch ihre sämtlich kultivierten und domestizierten Kulturpflanzen und Nutztiere.
3) Vereinfachte Karte, welche die Ausbreitung der Landwirtschaft von Südwestasien nach Europa zwischen 9600 und 3800 v. Chr. mit ungefähren Daten und Verbreitungswegen zeigt. Autoren: D. Gronenborn, B. Horejs. M. Börner, M. Ober (LEIZA/ÖAI). (Siehe auch meine Zeittafel). |
Die Entstehung megalithischer Bauwerke begann zunächst in der heutigen Normandie in dem dahinterliegenden Pariser Becken. Es wird angenommen, dass diese Megalithkultur sich dann vor allem in den Küstenregionen der Normandie und auf der Iberischen Halbinsel (Spanien und Portugal) festsetzte. Gleiche Strukturen wurden auch auf den Britischen Inseln, in Nordafrika (Marokko) und sogar auf den Azoren entdeckt. Diese Verbreitung deutet darauf hin, dass diese Kulturträger oder eine begleitende Zivilisation auch über Kenntnisse der Seefahrt verfügte.
Die Welt der europäischen Großsteinbauten fand ihr Ende mit dem „Einfall“ indogermanischer Völkergruppen (Glockenbecherkultur) aus Osteuropa, was etwa um 2200–2000 v. Chr. einsetzte. Das ägyptische Großreich blieb von diesem Niedergang unberührt.
Neue archäologische Erkenntnisse
Zu den neuen Erkenntnissen der Archäologie gehört die Vorstellung eines fließenden Übergangs von einfachen Grabenanlagen und rätselhaften Langhügeln (5000–4400 v. Chr.) im Pariser Becken, zu den Dolmen und Hügelgräbern der küstennahen Landschaften der Bretagne (4800–4500 v. Chr.). Es wird vermutet, dass die Grabenanlagen und Langhügel die späteren Steinstrukturen wie Cairns eine Vorstufe der megalithischen Bauwerke darstellen. [Minute 10:40]
Interessant ist auch die Erkenntnis (Hypothese?), dass sich die ältesten Megalithbauten vor allem durch Steinsetzungen und Menhire auszeichnen. Und das mit bis zu 35 Meter messenden Menhiren! Es gibt Anzeichen dafür, dass dann aber mit dieser frühen Kultur regelrecht „gebrochen“ wurde, was sich an der Zerstörung des weltweite größten Menhirs zeigt (20,60 Meter lang, 350 Tonnen schwer), der einst über 18 Meter hoch ragte. [Minute 21:18] Menhire solcher Art trugen übrigens auch Gravuren von Walfischen, sowie von Steinäxten mit Dornschäftung. [Letzteres ein Fachgebiet des in Vergessenheit geratenen Prof. Dr. Emil Werth (1869–1958), der die Agrarkultur der Menschheit studierte. An den Schäftungen der Äxte erkannte er bereits die Art einer möglichen Feldbautätigkeit]
Der bewusst zerstörte (?) Grand Menhir. In der Folge trat ein Kulturwandel ein. |
Der Blick auf die Highlands von Papua-Neuguina
Besonders spannend finde ich die vergleichenden Forschungen zwischen der europäischen Megalithkultur und den heute noch lebenden (neolithisch geprägten) Gesellschaften von Papua-Neuguinea. [Minute 28 :48] Diese Menschen, die bis in die 1920er Jahre von der „zivilisatorischen“ Außenwelt nahezu abgeschottet waren, entwickelten eine hochgradig fortschrittliche Gartenbaukultur (mit Grabstock-Hackbau und Forstwirtschaft!).
Meine Vermutung
Ich gehe davon aus, dass die Agrarkultur der europäischen Megalithiker einen vergleichbar hohen Entwicklungsstand erreicht haben müssen, wie heute die Menschen in Papua-Neuguinea (anfangs besaß man vermutlich noch keinen Pflug!). Nur so lässt sich erklären, wie es möglich war, große Bautrupps freizustellen und ausreichend zu ernähren, um die gigantischen megalithischen Anlagen zu errichten.
Prof. Müller erwähnt Berechnungen über die erforderliche Arbeitskraft für diese Bauwerke, die ich in einem späteren Blog-Artikel genauer behandeln werde.
4.) Gärten in dörflicher Umgebung im Hochland von Papua. |
P.S. Vielleicht spielte der Feldbau aber auch nur eine Nebenrolle in der Kalorien-Beschaffung. Im Prinzip haben es uns die Megalithiker doch selbst mitgeteilt: Sie betrieben Walfang!?.
Quellen und weitere Erläuterungen
Bildqellen
- Der Grand Menhir stand einst am Beginn … (gemeinfrei). Bildunterschrift: „Der Grand Menhir stand einst am Beginn einer Reihe von 19 immer kleiner werdenden Großsteinen.“ siehe wikipdia
- Dolmen von Vaon (gemeinfrei); Autor: Liberliger
- Karte (gemeinfrei), Ausbreitung der neolithischen Bauern
- Dorf mit Gärten im Hochland von Papua (gemeinfrei); Dorf in Mugi (Distrikt) im Distrikt Yahukimo in der Provinz Papua-Gebirge in Indonesien; Autor: Lasthib
[1] Pressemitteilung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL): Presse-Infos | Kultur „Frühe Megalithen in Europa“ Digitaler Vortrag zu „Stonehenge“ im LWL-Archäologiemuseum; 14.12.2021
[2] „Prof. Dr. Johannes Müller ist Professor für Prähistorische Archäologie (Urgeschichte) und Institutsdirektor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Neolithikum und die Frühbronzezeit Europas. Er hat Prospektionen und Ausgrabungen in Deutschland, Polen, Bosnien-Herzegowina, der Ukraine und Moldawien betrieben. Seine Forschungsprojekte reichen von Großsteingräbern über neolithische und bronzezeitliche Siedlungen bis zu osteuropäischen Siedlungshügeln und Großsiedlungen.“ Quelle [1].
[3] DFG Schwerpunktprogramm „Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung, Zur Entstehung und Entwicklung neolithischer Großbauten und erster komplexer Gesellschaften im nördlichen Mitteleuropa“ (ab Juli 2009) Zum Neolithikum der Nordeuropäischen Tiefebene ist die Frage gestellt: Wie verhalten sich die frühen Monumentalbauten zu der Entwicklung der sozialen Verhältnisse nach der Sesshaftwerdung um 4100 v. Chr.? https://www.monument.ufg.uni-kiel.de/index.html
Weitere Videos des LWL-Museums für Archäologie, z.B.: Monumentale Landschaften – Jungsteinzeitliche Grabenwerke und Megalithgräber Westfalens.