Bild: Fushimi Inari-Taisha in Kyoto, einen der bekanntesten Shinto-Schreine Japans, der für seine tausende von Torii berühmt ist.
Der Schrein ist Inari, dem Kami des Reises, der Fruchtbarkeit, des Wohlstands und des geschäftlichen Erfolgs, geweiht. Inari ist eine der populärsten Gottheiten im Shinto, und Fushimi Inari ist der Hauptschrein aller Inari-Schreine (über 30.000 in Japan).

Vorbemerkung
Der Fushimi Inari-Taisha-Schrein in Kyoto, Japan, ist weit mehr als ein malerisches Heiligtum mit seinen tausenden roten Torii-Toren, die sich über den Berg Inari schlängeln. Während er oft als touristisches Ziel oder als Teil der Shinto-Religion betrachtet wird, kann man ihn auch aus einem anderen Blickwinkel beleuchten: als Ausdruck einer uralten Spiritualität, die aus einer Zeit stammt, als die Menschen noch eine unmittelbare, naturverbundene Verbindung zum Transzendenten hatten – ohne die Vermittlung durch organisierte Religionen oder Priesterkasten, wie wir sie heute kennen.

Eine Spiritualität ohne Vermittler
Die „uralte Spiritualität“, von der hier die Rede ist, war tief in der Natur verwurzelt. Sie kannte keine heiligen Schriften, Dogmen oder Priester, die zwischen Mensch und Transzendenz standen. Stattdessen erlebten die Menschen das Heilige direkt in ihrer Umgebung – in Bergen, Flüssen und Wäldern. Der Fushimi Inari-Taisha-Schrein spiegelt diesen Ansatz wider.
Zwar gibt es im Shinto Priester, doch die Praxis im Schrein ist auffallend individuell: Besucher werfen Münzen in eine Opfergabe-Box, läuten eine Glocke, verbeugen sich und klatschen, um die Kami – die heiligen Kräfte – anzurufen. Diese einfachen Handlungen erfordern keine Vermittler; sie sind ein direkter Dialog mit dem Transzendenten, eingebettet in die natürliche Umgebung des Berges.
Die Natur als heiliges Tor
Im Zentrum dieser Spiritualität steht die Natur als Quelle des Heiligen. Im Fushimi Inari-Taisha-Schrein wird dies durch die Torii-Tore eindrucksvoll sichtbar, die den Weg durch den Wald und den Berg markieren. Diese roten Bögen rahmen die Landschaft ein und laden dazu ein, die Natur nicht nur als Kulisse, sondern als lebendigen, spirituellen Raum zu erfahren. Der Berg Inari selbst, Wohnort des Kami Inari, ist kein bloßer Hintergrund, sondern ein zentraler Akteur in der Verehrung. Diese Naturverbundenheit erinnert an eine Zeit, als die Menschen die Erde nicht beherrschen wollten, sondern sich als Teil eines größeren, beseelten Ganzen sahen.

Animismus: Die Welt als lebendig
Ein weiteres Merkmal dieser uralten Spiritualität ist der Animismus, die Vorstellung, dass die Natur von lebendigen Kräften durchdrungen ist. Im Shinto und im Fushimi Inari-Taisha-Schrein zeigt sich dies in der Verehrung der Kami, die in allem wohnen können – vom Berg bis zu den Fuchsstatuen (Kitsune), die als Boten des Inari gelten.
Die Kami sind keine fernen Götter, sondern nahe, vertraute Wesenheiten, die mit der Welt der Menschen verwoben sind. Diese animistische Sichtweise hebt die Grenze zwischen Profanem und Heiligem auf und sieht das Transzendente in der unmittelbaren Umgebung – ein Echo jener alten Zeiten, als Spiritualität und Alltag eins waren.
Gemeinschaft ohne Hierarchie
Auch wenn diese Spiritualität individuell erlebt wurde, hatte sie eine gemeinschaftliche Dimension. Im Fushimi Inari-Taisha-Schrein zeigt sich dies in den Matsuri, den Festen, die das Jahr prägen. Bei diesen Anlässen – wie dem Neujahrsfest oder Erntefeiern – kommen Menschen zusammen, um die Kami zu ehren und die Harmonie mit der Natur zu feiern. Diese Rituale sind weniger von Priestern dominiert als vielmehr von der Gemeinschaft getragen, was an eine Spiritualität erinnert, die kollektiv und doch frei von starren Hierarchien war.
Ein lebendiges Erbe
Der Fushimi Inari-Taisha-Schrein ist somit nicht nur ein Relikt des Shinto, sondern auch ein Fenster zu einer uralten, natur-spirituellen Welt. Seine Torii-Tore, die Naturverehrung, die direkte Verbindung zu den Kami und die animistische Weltsicht lassen eine Spiritualität erahnen, die keine Priesterkaste brauchte, um das Heilige zu erfahren.
In einer modernen Welt, die oft von Institutionen und Dogmen geprägt ist, bietet der Schrein eine Erinnerung daran, dass Spiritualität einst etwas Einfaches, Persönliches und Naturverbundenes war – und vielleicht noch immer sein kann.
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