Bild: Die Zukunft ist proteinreich – und sie krabbelt schon auf deinem Teller. Und nicht nur dort. [5]
🐜 Liebe Leserinnen und Leser,
heute widmet sich dieser Beitrag einem Thema, das derzeit in allen Medien präsent ist und viele Menschen beschäftigt. Seit heute, dem 10. Februar 2025, ist es in der EU erlaubt, UV-behandelte [1] ganze Mehlwürmer Lebensmitteln beizumischen. Das Geschmäckle dabei ist, dass ein französisches Unternehmen namens Nutri’Earth, das eigentlich Tierfutter herstellt, für die nächsten fünf Jahre das Monopol darauf erhält, sein Wurmpulver in der EU zu vertreiben. Sei es drum – hier folgen meine Recherchen zu diesem kribbeligen Thema.
Interessanterweise hatte ich dieses Thema zunächst gar nicht auf dem Schirm und begann daher mit einer kurzen Recherche, um herauszufinden, ob die Schweizer diese Entwicklung kritisch sehen. Schließlich gelten unsere Nachbarn als neutral, und ich suchte zunächst nach einer unvoreingenommenen Meinung. Überraschenderweise stieß ich in einem aufschlussreichen Artikel der Schweizer Blick auf folgende Passage:
„In der Schweiz dürfen Grillen, Mehlwürmer im Larvenstadium sowie europäische Wanderheuschrecken schon seit 2017 zum menschlichen Verzehr angeboten werden. Sie «dürfen zum menschlichen Verzehr, als ganze Tiere, zerkleinert oder gemahlen, in Verkehr gebracht werden».“ [2]
Moment, ich muss mich gerade wirklich mal kratzen – es kribbelt auf meinem Kopf … Dieser Artikel brachte mich auf die Idee, dass die aktuelle Mehlwurm-Debatte in der EU vielleicht gar nicht so neu ist. Und tatsächlich wurde ich beim Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung fündig. Derzeit geht es zwar nur um Mehlwürmer, doch andere Insekten sind euch schon viel länger in alltäglichen Nahrungsmitteln begegnet (!). Zitat [3]:
«Folgende Zulassungen wurden erteilt [Liste der gemästeten Insekten]*
- Juni 2021: Mehlkäfer¹ (Tenebrio molitor), getrocknete Larven
- November 2021: Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), gefroren/getrocknet/pulverförmig
- März 2022: Hausgrille² (Acheta domesticus), gefroren/getrocknet/pulverförmig
- März 2022: Mehlkäfer¹ (Tenebrio molitor), gefrorene, getrocknete und pulverförmige Larven
- Januar 2023: Hausgrille² (Acheta domesticus), teilweise entfettetes Pulver
- Januar 2023: Getreideschimmelkäfer¹ (Alphitobius diaperinus), gefroren oder getrocknete Larven³, auch als Paste und in Pulverform
- Februar 2025: Mehlkäfer¹ (Tenebrio molitor), UV-behandeltes Pulver ganzer Larven
¹ „Mehlwurm“, ² „Heimchen“; ³ „Buffalowurm“» [zum Glück noch keine Bandwurm…]
🦗 Was mich an dieser Liste irritiert, ist die Tatsache, dass doch immer von einer Auszeichnungspflicht für „Insektenlebensmittel“ die Rede war. Wenn es sie wirklich gab oder gibt – warum ist sie mir dann nie aufgefallen? (Gut, ich kaufe keine Industrienahrung, aber dennoch müsste es doch in meinem Umfeld jemandem ins Auge gestochen sein!) Merkwürdig.
In der gleichen Quelle, dem Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung [2], liest man, dass man gutgläubig davon ausgeht, dass beispielsweise Gastronomen ihre Gäste über Insektenzutaten informieren. Und weiter:
«Der Vollzug der lebensmittelrechtlichen Vorschriften und damit auch die Kontrolle der genannten Kennzeichnungsvorgaben für Insekten obliegt den zuständigen Behörden der Länder.»
Und: Tun die was? Im Moment vermute ich, besteht die Gefahr, dass Konsumenten ungewollt Produkte konsumieren, die allergene Substanzen enthalten oder nicht ihren ethischen Erwartungen entsprechen.
Hier ist noch eine Liste der möglichen „Insekten-Nahrungsmittel“
- Brot, Brötchen, Kuchen und andere Backwaren
- Nudeln und weitere Teigwaren
- Kartoffelprodukte
- Käse
- Obst- und Gemüsekompott
- Marmelade
- Snacks, Müsliriegel und diverse Aufstriche
*Keine Bange, es ist nicht ekelig: Die Würmchen unterziehen sich vor der Schlachtung einer 24-stündigen Futterkarenz, sodass der Darminhalt in der Regel nicht in eure Speisen gelangt.
Nun noch zu den „Hühnern und Schweinen“ …
🦂 … das erwähnte ich in der Überschrift nur [4], weil ich mich wunderte, dass ein Futtermittelproduzent (Nutri’Earth) in der Europäischen Union Insekten als Tierfutter produziert. Bisher war es nämlich verboten, tierische Grundstoffe, z. B. in Hühner- oder Schweinefutter, zu mischen.
Der Grund dafür war die BSE-Krise („Rinderwahnsinn“) in den 1990er Jahren. Damals wurde festgestellt, dass das Verfüttern von Tiermehl – also tierischen Proteinen – an Wiederkäuer wie Rinder zur Verbreitung der Krankheit beitrug. Um eine ähnliche Problematik bei anderen Nutztieren zu vermeiden, wurde 2001 ein generelles Verbot für tierische Proteine in der Nutztierfütterung eingeführt. Wie gesagt galt das auch für Hühner, was mich bisher dazu veranlasste meinen Legehennen eingeweichtes Katzenfutter zu geben. (Das rechnet sich vermutlich immer noch.)
Doch wie ich nun recherchieren konnte – ich hatte die Information bis heute noch nicht – wurde dieses Verbot stufenweise gelockert: Und seit 2021 ist es wieder erlaubt, Insektenproteine in Futtermitteln für Geflügel und Schweine zu verwenden. Der Hintergrund: Insekten gelten als natürlicher Bestandteil der Nahrung von Hühnern und könnten eine nachhaltige Proteinquelle sein. Schweine wiederum sind Allesfresser und könnten theoretisch ebenfalls davon profitieren.
Fazit:
Es ist doch wunderschön in der Europäischen Union zu leben. Da kümmert man sich um uns mütterlich. Um Hühner, Schweine und Menschen…
Noch ein positiver Ausblick
Am Ende möchte ich jedoch auch klarstellen: Die industrielle Herstellung von Insekten als Tierfutter ist zweifellos eine interessante Zukunftstechnologie. Dank ihrer geringen Ressourcenaufwendigkeit und hohen Proteineffizienz in der Produktion bietet sie eine Alternative zu herkömmlichen Futtermitteln wie Soja oder Mais. Damit können wir hochwertige Produkte wie Eier, Milch und Fleisch erzeugen und konsumieren – und das finde ich durchaus positiv. Nur ist die Herstellung der Speise-Insekten als Eiweißersatz heut noch sehr teuer. Mit dem Wachstum der Nachfrage (Verfütterung an Tiere, nicht an Menschen) könnten Produzenten größere Mengen effizienter produzieren, was die Kosten reduziert. Und automatisierte Systeme zur Zucht und Ernte würden die Produktionskosten sicher weiter senken.
Nicht unerwähnt darf bleiben: Die Produktion von Mehlwürmern und anderen Insekten wird mit Klimaschutz begründet, weil sie wesentlich ressourcenschonender ist als herkömmliche Proteinsysteme. Durch ihren geringen Land- und Wasserbedarf, ihre niedrigen CO₂-Emissionen sowie die Möglichkeit, organischen Abfall zu recyceln, tragen Insekten zur Reduktion der globalen Umweltauswirkungen der Lebensmittelproduktion bei. Sie bieten somit eine nachhaltige Lösung für die wachsende Nachfrage nach Proteinen in einer Welt mit begrenzten natürlichen Ressourcen.
Des Weiteren meint man, dass ein weiterer entscheidender Vorteil der Insektenzucht im Vergleich zur Rinderhaltung die nahezu vollständige Abwesenheit von Methanemissionen ist. Während Rinder durch ihr Wiederkäuerdigestionssystem erhebliche Mengen an Methan (ein starkem Treibhausgas) produzieren, emittieren Mehlwürmer und ähnliche Insekten keine oder nur vernachlässigbare Mengen dieses Gases. Dies hebt die Klimafreundlichkeit von Insektenprotein deutlich hervor, insbesondere wenn man es mit methanintensiven Produkten wie Rindfleisch oder Milch vergleicht.
Das ist tatsächlich so, doch halte ich die Hypothese, dass Rinder-Methan- oder CO₂-Emissionen für das Klima relevant sind, für falsch.
Quellen und Erläuterungen
[1] Es soll den Gehalt an Vitamin D erhöhen. Toll!
[2] HILLIG, Johannes; blick.ch; „Wirbel um Verordnung · Unsere Nachbarn mischen bald Mehlwürmer in Brot und Pasta„; 6.2.2025
[3] bmel.de; Fragen und Antworten zu Insekten in Lebensmitteln, 2.2.2023
[4] Der zweite Teil der Überschrift bezieht sich im Termin nicht auf den ersten Teil. Und ja, es ist satirisch gemeint.
[5] P.S. Es ist wirklich so: Ich habe mich beim Schreiben noch nie so viel kratzen müssen, wie bei diesem Blog-Artikel, obgleich ich jeden Morgen dusche.