Bild: Aus alten Kartoffeln eine schmackhafte Suppe bereiten. Was braucht es für das Rezept?
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch…
Ein tröstendes – und wohl das weiseste aller deutschen Dichterworte – stammt aus Friedrich Hölderlins umfangreicher Hymne Patmos (1803) [1] und es lautet: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Dieser Vers mag auch für uns in der heutigen Zeit hilfreich sein. Denn die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche um 1803 [2], die Hölderlins Dichtung beeinflussten, lassen sich durchaus mit den gegenwärtigen Veränderungsprozessen vergleichen.
Doch ich möchte heute in diesem Blog-Artikel gar nicht weiter ins Philosophische abgleiten, sondern mit einem leichten Augenzwinkern von ganz profanen Dingen sprechen: Von alten Kartoffeln.

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Kartoffeln im Keller: Gefahr im Verzug
Wir haben Ende Mai – und unsere Kartoffeln vom Vorjahr haben schon tüchtig ausgetrieben. Die Keime habe ich zwar entfernt, was der Qualität der Knollen noch keinen Abbruch tut, aber: Sie sollten nun in den nächsten 14 Tagen zügig aufgebraucht werden.
Sonst besteht tatsächlich die „Gefahr“, dass sie unbrauchbar werden – also so schrumpelig, dass sie sich nicht mehr schälen lassen. Also: Gefahr … Gefahr!!!
Das Liebstöckel und die Kartoffelsuppenzeit
Kartoffelgerichte
Somit stellt sich die Frage: Sollen wir nun jeden Tag Kartoffelbrei und Bratkartoffeln auf den Tisch bringen, um die Erdäpfel aufzubrauchen? Schauen wir also einmal, welche Rezepte sich dazu eignen, um die alten Kartoffeln zu verarbeiten und auch noch so, dass die Kinder sie mögen.
Es gibt viele Möglichkeiten, zum Beispiel:
- Klöße
- Kartoffelpuffer
- Kartoffelbrei
… und nicht zu vergessen: Die Kartoffelsuppe!
Definitiv ist sie das Idealrezept für alte, teils auch überlagerte Kartoffeln. Wenn der Keller also leergeräumt werden soll, ist bei uns die Kartoffelsuppe die erste Wahl. Und im Normalfall wird sie auch von den Kindern gern gegessen.

Der einzigartige Duft
Rezepte gibt es viele – doch meist hat jede Familie ihre eigene Variante und so kann ich mir hier ein spezielles Kartoffelsuppen-Rezept sparen. Das Aroma einer solchen Suppe mag ein wenig variieren, was sie jedoch in der Regel eint, das ist ihr Duft: Dieser ganz besondere Duft von Kindheit, Küche und Kartoffelsuppe.
Und woran liegt das? Es ist das Liebstöckel, auch bekannt als Maggikraut oder schlicht: „Kartoffelsuppenkraut“. Egal, wie man es nennt – es gehört einfach dazu. Liebstöckel-Blätter braucht es unbedingt und die Not ist manchmal groß, geeignetes zu bekommen. Die Supermärkte haben es selten im Angebot … doch:
Draußen im Garten wächst jetzt – Ende Mai – fast unbemerkt: Das Rettende. Das Maggikraut steht in voller Pracht, kräftig, würzig, grün wie nie und oft in riesigen Büschen
Der Zufall – oder sagen wir: die stille Weisheit des Jahreslaufs – bringt nun beides zusammen:
- Drinnen: Die Kartoffel-Vorräte, die nicht mehr lange halten.
- Draußen: Das frische Grün, das jetzt in Hülle und Fülle wächst.
- Beide wollen jetzt genutzt werden. Jetzt – nicht nächste Woche.
Und so entsteht ein einfaches, gutes Gericht:
Eine Kartoffelsuppe, mit Zwiebeln und Möhren oder auch mit Lauch oder Sellerie – und eben diesem einen, unverzichtbaren Kraut.
Jetzt auch an den Winter denken
Wer mag, denkt in solchen Momenten schon an den kommenden Winter. Denn jetzt ist die richtige Zeit, Liebstöckel zu ernten und zu trocknen.
Denn so üppig die Staude jetzt auch wirkt – bald zieht sie sich zurück. Spätestens gegen Jahresende bleibt nur noch ein leerer Stängel. Und dann ist die Not wieder groß.
Liebstöckel umpflanzen, nach der Blüte
Allerdings: Ich habe im Winter auch schon Liebstöckelwurzeln ausgegraben, kleingeschnitten und zur Suppe gegeben. Das geht auch – das Aroma ist das gleiche. Doch das gelingt nur, wenn wir reichlich Liebstöckelstauden im Garten haben.
Ist das noch nicht der Fall? Dann lässt sich das jetzt ändern:
Wenn die Staude demnächst in die Blüte geht, schneiden wir sie komplett zurück, trocknen das Laub – und graben sie aus. Dann wird geteilt und an mehreren Stellen neu verpflanzt.
Ein Vorteil ist, dass Liebstöckel auch noch im Halbschatten gut gedeiht, und so findet sich fast immer ein Platz im Garten.
Fazit
Es sind diese kleinen Kreisläufe, in denen man das Jahr besonders bewusst erlebt: Ein bisschen Zeitdruck im Kartoffelkeller – und draußen das duftende Versprechen des nächsten Suppentellers.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Hölderlin hätte wahrscheinlich geschmunzelt – und unsere Suppe mitgegessen.
Welche Kräuter eignen sich weiterhin jetzt zum Schnitt?
Weitere Bemerkungen
[1] Hölderlins Hymne Patmos entstand um 1803 und gehört zu seinen späten, reiferen Werken. Das Gedicht thematisiert in kraftvoller Sprache die Verborgenheit des Göttlichen in einer Welt der Umbrüche und Unsicherheiten. Der berühmte Vers „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“ gilt als verdichteter Ausdruck dieser Gedankenwelt: In Zeiten größter Bedrohung liegt zugleich die Möglichkeit zur Wandlung und Rettung verborgen. Die Insel Patmos, auf der laut Überlieferung der Jesus-Apostel Johannes seine Offenbarung empfing (etwa 90 n. Chr.), wird so zum Sinnbild spiritueller Klarheit in dunkler Zeit.
[2] Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche um 1803 stehen im Zeichen tiefgreifender Veränderungen in Europa. Besonders bedeutsam war der sogenannte Reichsdeputationshauptschluss von 1803, durch den im Zuge der Säkularisation und Mediatisierung viele kirchliche und kleinere weltliche Herrschaften aufgelöst und größeren Staaten angegliedert wurden. Dies bedeutete das Ende der alten Reichsordnung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Zeitgleich war Europa durch die Auswirkungen der Französischen Revolution (1789 ff.) und die darauf folgenden Napoleonischen Kriege in einem Zustand permanenter Instabilität. Traditionelle Machtstrukturen zerfielen, neue Ideen von Nation, Bürgertum und Freiheit drängten in den Vordergrund. Für Dichter wie Hölderlin, der die Umbrüche mit innerer Anteilnahme erlebte, war dies eine Zeit großer geistiger und existenzieller Spannungen.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Patmos_(H%C3%B6lderlin)