Quiz-Sendungen im Fernsehen. Die Latrine für unnützes Wissen? Und: „Wir amüsieren uns zu Tode“, ein Taschenbuch von Neil Postman(1992).

Toilettenhaus im Grünen

Arbeitstitel: Nützliches Wissen versus unnützes Wissen

Eine Buchvorstellung – „Wir amüsieren uns zu Tode“

Der aufmerksame Leser wird sicher schon bemerkt haben, dass ich in der Beschreibung meiner zwei Internet-Projekte, derkleinegarten.de und inhortas.de, den Begriff des „nützlichen Wissens“ bewusst verwendet habe. Es geht um Wissen, das einen praktischen oder theoretischen Nutzen hat, indem es im täglichen Leben Probleme löst, Entscheidungen erleichtert, die Welt verständlicher macht oder spezifische Ziele erreicht.

Ein Bestseller der 1990er Jahre in intellektuellen Kreisen

Natürlich ist es neben dieser einfachen Definition – und dem Streben, nützliches Wissen zu vermitteln – auch eine von mir gewollte Stichelei gegen die Verbreitung von unnützem Wissen. Diese beobachte ich zunehmend in den „Qualitätsmedien“ jeglicher Art, in den sozialen Medien und vermutlich auch bald von künstlichen Intelligenzen verbreitet. Um zu erklären, warum ich auf diesem Gebiet ein wenig sensibel bin, möchte ich auf einen Taschenbuch-Bestseller der 1990er Jahre hinweisen, der damals von jedem gelesen und protegiert wurde, der sich für intellektuell hielt. Es handelt sich hierbei um den Titel:

Wir amüsieren uns zu Tode, Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie

Verfasst wurde er von dem kritischen US-amerikanischen Medienwissenschaftler Neil Postman (1931-2003), der den Titel 1985 unter dem Namen „Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show Business“ in den USA veröffentlichte und der bald darauf in viele Sprachen übersetzt wurde [1].

Zwei Taschenbücher
Zwei konträre Taschenbücher zur Wissensvermittlung.

Zwei Dunstkreis-Zitate und -Literatur

Neil Postman ist derjenige, dem in diesem Buch das Zitat Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie. zugeschrieben wird (ein Gleiches können wir für unkritische Internet- und KI-Nutzer annehmen). Auch wenn ich das Zitat in Postmans Literatur bisher noch nicht fand, beschreibt es doch den Grundtenor seines Buches recht gut.
Natürlich können wir das relativieren – und zwar durch das ebenfalls allgemeine Zitat (damals bezogen auf das Fernsehen): Den Klugen macht es klüger und den Dummen macht es dümmer

Kurzum – diese zwei Zitate beschreiben grob den Inhalt der wohl bekanntesten Publikation Neil Postmans, und für mich war sie definitiv ebenso wegweisend wie
Farm der Tiere“ (1944) und „1984“ (1949) von George Orwell (1903–1950) sowie
Schöne neue Welt“ (1932) von Aldous Leonard Huxley (1894–1963),
die Postman in seinem 11. Kapitel explizit erwähnt. Im gleichen Zuge nennt er auch den Roman „Sonnenfinsternis“ (1940) von Arthur Koestler (1905–1983). Bisher ist mir dieser noch nicht bekannt, doch ich werde ihn der Vollständigkeit halber wohl noch zukaufen [2].

Für das Bücherregal der heutigen Aufklärung

Doch kommen wir zu Neil Postmans Sachbuch zurück: Es gehört in das Bücherregal eines jeden aufgeklärten Zeitgenossen [3], der einen Anstoß dafür braucht, die heutige Welt der Illusionen zu verstehen und einzuordnen. Ebenso sollte es jeder fortgeschrittene Selbstdenker kennen, um die Mechanismen der medialen Manipulation in ihrem geschichtlichen Werdegang zu verstehen.

Rückblick: Telegrafie und Fotografie

Interessanterweise gibt es bei Postman zwei entscheidende Punkte, welche diese Mechanismen bereits im 19. Jahrhundert grundlegend veränderten – also nicht erst durch die Erfindung von Radio und Fernsehen!

Zum einen ist das die Erfindung der Telegrafie. Mit ihr beginnt, so Postman, (vielleicht sogar ungewollt) das Zeitalter der Übermittlung zeitnaher irrelevanter und belangloser Informationen. Zum anderen erklärt er – zeitgleich im 19. Jahrhundert stattfindend – die sogenannte „Optische Revolution“ durch den inflationären Einsatz von Bildern und bald auch der Fotografie. Und darauf folgend die Verquickung von Bild und belanglosen Informationen in großer Menge. Nach Meinung des Autors erzeugt es die Illusion, dass von fremden Entitäten erzeugte „Nachrichten“ etwas mit dem eigenen Erfahrungsbereich zu tun hätten. «Denn das Foto verschaffte den fremdartigen Orts- und Datumszeilen eine konkrete Realität und verlieh den unbekannten Namen Gesichter. […] Es [das Foto zum Text] schuf einen Scheinkontext für die „Tagesnachrichten“. Und die „Tagesnachrichten“ ihrerseits schufen einen Kontext für das Foto.»  ([1] Seite 96)

Pseudo-Kontext. Auf den Kopf gestellte Informationen

Hochinteressant – und das ist das, was sich mir beim ersten Studium des Buches (2004) von Postman besonders tief einprägte: Zeitgleich mit der Massenproduktion von nutzlosem Wissen passierte Folgendes. Ich zitiere:

Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, dass sich das Kreuzworträtsel in Amerika genau um die Zeit zu einem populären Zeitvertreib entwickelte [in Deutschland ebenso], als der Telegraph und die Photographie die Nachrichten verwandelten und aus funktionalen Informationen dekontextualisierte Fakten machten. Dieses zeitliche Zusammentreffen deutet darauf hin, dass die neuen Technologien das jahrhundertealte Problem der Information auf den Kopf gestellt hatten: Während die Menschen früher nach Informationen suchten, um den realen Kontext ihres Daseins zu erhallen, mussten sie jetzt Kontexte erfinden, in denen sich sonst nutzlose Informationen scheinbar nutzbringend gebrauchen ließen. ([1] Seite 97)

Toilettenhäuschen und römische Latrine für nutzlosen Wissen

Postman nennt das Kreuzworträtsel als Paradebeispiel für einen solchen „Pseudo-Kontext“. Anders ausgedrückt, benötigte man eine Art Latrine (zum Beispiel das Kreuzworträtsel), um den Darm vom Ballast des unnützen Wissens zu befreien. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: In Bezug auf das unverdaute nutzlose Wissen stellt das Kreuzworträtsel nur so ein kleines, einsames, hölzernes Toilettenhaus mit Herz in der Tür dar.

Wenn ich heute auf die noch existierenden öffentlich-rechtlichen Fernsehsender schaue – natürlich schaue ich mir diese oft unerträglichen Inhalte nur manchmal versehentlich an – und darin die Endlosschleifen von Quiz- und Rate-Sendungen entdecke, dann ist das nicht mehr mit einem einzelnen Toilettenhäuschen zu vergleichen. Ich vergleiche das eher mit diesen öffentlichen antiken römischen Massen-Latrinen, wo zehn oder zwanzig Bürger nebeneinander sitzend ihre Notdurft verrichteten.

Ich stelle hier eine wissenschaftliche These vor und scherze nicht

Nach Postman (und von mir etwas gedanklich erweitert) steht also die These im Raum, dass es absolut sinnvoll sein kann, zu unnützen, belanglosen und dekontextualisierten Erklär- und Nachrichtensendungen auch gleich die Latrine mit anzubieten. Die Lösung hierfür sind massenweise Quiz- und Rate-Sendungen.

Hiermit möchte ich meinen heutigen Blog-Artikel beenden, denn er ist schon viel zu lang geworden. Eigentlich wollte ich eingangs nur kurz erklären, warum ich mich besonders auf „nützliches Wissen“ fokussiere.

Quellen  meiner Behauptung

Um den Beitrag aber noch als Quellenstudie und -recherche nützlich zu machen, liste ich hier noch die aktuellen Quiz-Formate der gebräuchlichsten Fernsehsender auf:

ARD: (1.) Gefragt – Gejagt: Diese Quizshow mit Alexander Bommes ist ein fester Bestandteil des Vorabendprogramms. Ein Team von Kandidaten tritt gegen einen von mehreren „Jägern“ an, die Experten in verschiedenen Wissensgebieten sind. Die Sendung ist bekannt für ihr schnelles Tempo und die spannenden Duelle; (2.) Wer weiß denn sowas?: Diese Rateshow mit Kai Pflaume und den Teamchefs Bernhard Hoëcker und Elton kombiniert Wissen mit Unterhaltung und Humor. Zwei Kandidaten und ihre prominenten Teamchefs müssen ungewöhnliche Fragen beantworten; (3.) Quizduell (und Quizduell-Olymp): Das „Quizduell“ ist eine interaktive Quizshow, bei der ein Kandidat im Studio gegen die Zuschauer zu Hause spielt, die über eine App teilnehmen können. (4.) „Quizduell-Olymp“ ist eine Variante, bei der drei Quizexperten gegen den Kandidaten antreten; (5.) Das Quiz mit Jörg Pilawa (früher): Obwohl diese Sendung aktuell nicht mehr im Programm ist, war sie lange Zeit ein fester Bestandteil des ARD-Nachmittagsprogramms.

ZDF: (6.) Der Quiz-Champion: Diese Quizshow mit Johannes B. Kerner stellt Kandidaten in verschiedenen Wissensgebieten auf die Probe. Die Kandidaten müssen sich in mehreren Runden gegen Experten durchsetzen, um den Titel „Quiz-Champion“ zu gewinnen; (7.) 1 gegen 100: Eine interaktive Quizshow mit Florian Weber, bei der ein Kandidat gegen 100 Mitspieler im Studio antritt. Auch hier können die Zuschauer zu Hause über eine App mitspielen.

Dritte Programme (Auswahl). Die Dritten Programme der ARD (z.B. BR, NDR, WDR) bieten ebenfalls regionale Quizsendungen und Wissensformate an. Diese variieren je nach Sender und Sendezeit. Beispiele: (8.) Bayern Quiz (BR): Ein Quiz mit regionalem Bezug zu Bayern; (9.) Plietsch (NDR): Eine Wissenssendung für Kinder und Jugendliche.

Ähnliche Formate (keine reinen Quizsendungen, aber Unterhaltungssendungen mit Wissens- und Rateelementen): (10.) Rate mal, wer zur Familie gehört (ARD): Eine Show, in der prominente Rater die Familienverhältnisse von Kandidaten erraten müssen; (11.) Klein gegen Groß – Das unglaubliche Duell (ARD): Hier treten Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gegen Prominente in verschiedenen Duellen an. Oftmals sind hier auch Wissensbereiche involviert.

Weitere Quellen und Hinweise

[1] POSTMAN, Neil; Wir amüsieren uns zu Tode, Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie; Aus dem Amerikanischen übersetzt von Reinhard Kaiser; Frankfurt am Main 1992

[2] Desweiteren finden wir bei Postman den Hinweis auf den amerikanischen Klassiker „Walden“, von Henry David Thoreau (1817-186), [1] Seite 84

[3] Im Kontext der intellektuellen Strömung der Medienkritik ist vielleicht auch der Film „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ (2007) von Hans Weingartner (geb. 1970). Auf wikipedia lesen wir hierzu: „Die Mediensatire schildert die Bekehrung des Fernsehproduzenten Rainer von einem quotenorientierten Macher von Unterschichtenfernsehen zu einem Aufklärer.“ (hier ist ein SPIEGEL-Interview von 2007 mit dem Filmemacher)

[Quellen werden noch weiter ergänzt]

 

alte Zeitung
Aus der illustrierten Zeitschrift: „Alte und Neue Welt. Jahrgang 1888. XI Heft.

 

In den 1840er Jahren entwickelten sich in Deutschland die Illustrierten Zeitschriften. Bald fand sich in diesen jeweils eine Schach-Rätselaufgabe, und etwa ab 1880 (wie im Beispiel oben) die Vorläufer der Kreuzworträtsel, die Rösselsprungrätsel, die genau genommen bereits im Mittelalter erfunden wurden. Hier wurden sie wieder aufgegriffen. Laut Wikipedia erschien das erste Kreuzworträtsel der Welt am 21. Dezember 1913 in der Weihnachtsbeilage der Zeitung „New York World“. Es enthielt 31 Suchbegriffe…

Interessant mag sein, dass wir hier (siehe Bild oben) schon eine komplette Seite mit Rätselaufgaben abgebildet sehen, die sich umseitig nur noch mit einer Seite humoristischer Grafiken beschäftigte. Schon hier scheint es so zu sein, dass eine solche, das Magazin abschließende Rätselseite dazu dient, die zuvor gelesenen unnützen Informationen aus dem Gedächtnis zu löschen… 😉

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