Symbolbild. Johann Heinrich von Thünen und seine konzentrische Anordnung landwirtschaftlicher Flächennutzung um eine zentrale Stadt.
📝 Für die moderne Raumplanung ist das Thünen’sche Modell längst überholt – die Eisenbahn, das Auto und globale Märkte haben die Landwirtschaft grundlegend verändert. Doch für Archäologen und Historiker bleibt es hochinteressant: Es bietet eine Denkvorlage, um zu verstehen, wie vergangene Gesellschaften ihre Landschaften wirtschaftlich nutzten – von mittelalterlichen Städten bis hin zu neolithischen Siedlungen.
Ein wegweisendes Modell der Wirtschaftsgeografie vor 200 Jahren
Das Thünen’sche Modell der Landnutzung ist ein klassisches wirtschaftsgeografisches Konzept, das die Anordnung landwirtschaftlicher Produktionszonen in Abhängigkeit von Transportkosten und Marktpreisen erklärt. Es wurde im 19. Jahrhundert von Johann Heinrich von Thünen (1783–1850) entwickelt, einem deutschen Agrarökonomen, Sozialreformer und Musterlandwirt [1] Sein einflussreichstes Werk, Der isolierte Staat (1826), legte grundlegende Prinzipien für die Analyse von Landnutzung und räumlicher Wirtschaftsorganisation fest – und beeinflusst in seiner grundlegenden Betrachtung die Forschung bis heute.

Das Idealschema der Landnutzungszonen
Das von Thünen entworfene „Idealschema“ beschreibt eine konzentrische Anordnung landwirtschaftlicher Flächennutzung um eine zentrale Stadt. Entscheidend sind die Transportkosten und die Verderblichkeit der Produkte:
- Zone 1: Intensive Landwirtschaft mit leicht verderblichen Produkten wie Milch und Gemüse.
- Zone 2: Wald für Brenn- und Bauholz.
- Zone 3: Getreideanbau mit Fruchtwechsel.
- Zone 4: Extensive Viehwirtschaft.
- Zone 5: Wenig genutzte Peripherie oder Wildnis.
Dieses Modell geht von idealisierten Bedingungen aus – flaches Terrain, gleiche Bodenqualität und ein freier Markt. Dennoch lieferte es wertvolle Erklärungen für agrarische Standortentscheidungen. Zumindest damals.
Historischer Kontext und Wandel durch die Industrialisierung
Zur Zeit Thünen’s existierte noch kein ausgebautes Eisenbahnnetz, und Transporte erfolgten vor allem über Flüsse und Kanäle. Erst mit der Industrialisierung – dem Aufkommen von Dampfschiffen (ab den 1810er-Jahren) und Eisenbahnen (erste deutsche Eisenbahn 1835) – veränderten sich die ökonomischen Rahmenbedingungen dramatisch. Die zunehmende Mobilität der Waren ließ das Thünen’sche Modell bald obsolet erscheinen. Und so mag es scheinen, als interessiere sich heute niemand mehr dafür. Ich aber schon.
Warum das Thünen-Modell für Historiker relevant bleibt
Zwar spielt das Modell in der modernen Raumplanung kaum mehr eine Rolle, doch für Historiker bleibt es von unschätzbarem Wert. Wer sich mit den räumlichen Strukturen vergangener Kulturen, Hochkulturen und Zivilisationen beschäftigt, erkennt Parallelen: Auch in spät-neolithischen Gesellschaften gab es zentrale Siedlungen mit vergleichbaren Bedürfnissen – intensive Agrarflächen, Waldzonen für Brennholz, Weideflächen.
Koexistenz von Ackerbauern und Nomaden
Nur war recht oft ein wesentlicher Unterschied in frühgeschichtlichen Gesellschaften die parallele Nutzung von Land durch unterschiedlich wirtschaftende Völkerschaften gegeben. Damit meine ich vor allem die Ackerbauern und Hirtennomaden – eine Konstellation, die sich bis in die Bronzezeit und länger hielt. Die biblische Überlieferung liefert ein anschauliches Beispiel:
Abraham und seine Nachkommen werden im Alten Testament als seminomadische Hirten beschrieben, die um 2000–1800 v. Chr. in Kanaan lebten. Sie zogen mit ihren Herden umher und nutzten saisonale Weidegründe. Gleichzeitig existierten etablierte städtische Zentren wie Hebron oder Sichem [3], und es gab Interaktionen zwischen Nomaden und sesshaften Stadtbewohnern – sei es durch Handel oder durch Konflikte um Landnutzung. Archäologische Funde bestätigen aber oft auch auch diese Koexistenz mobiler und sesshafter Gruppen.

Ein Modell mit zeitloser Relevanz
Für Agrarhistoriker und Forscher, die sich mit der räumlichen Organisation vergangener Gesellschaften beschäftigen, bleibt das Thünen’sche Modell also ein wertvolles Konzept.
Selbst für die Gestaltung moderner Hausgärten wäre es interessant, ein sinnvolles „Hausgarten-Land-Nutzungsmodell“ im kleinen Maßstab zu entwerfen, statt die recht übliche unstrukturierte Flächenplanung des eigenen Grundstücks zu betreiben – aber das sei hier nur am Rande bemerkt.
Fazit
Das Thünen’sche Modell ist mehr als nur eine historische Kuriosität. Es hilft, vergangene Wirtschaftsformen zu verstehen und Parallelen in der Agrargeschichte aufzuzeigen. Ein Blick darauf lohnt sich also nach wie vor.
Das Idealschema der Landnutzungszonen noch ein wenig ausführlicher:
Thünen nahm ein isoliertes Gebiet mit homogener Bodenqualität, ohne natürliche Barrieren und mit einer einzigen zentralen Stadt als Absatzmarkt an. Unter diesen Bedingungen ordnete er die landwirtschaftlichen Nutzungen in Konzentrischen Ringen um die Stadt an, wobei jede Zone von einer anderen landwirtschaftlichen Produktionsweise geprägt ist.
Die Zonen von innen nach außen:
- Marktgärtnerei und Milchproduktion (Intensive Landwirtschaft)
- Direkt um die Stadt herum befinden sich Betriebe, die leicht verderbliche Produkte wie Milch, Gemüse oder Obst erzeugen.
- Diese Produkte haben hohe Transportkosten oder müssen schnell geliefert werden, daher müssen die Produzenten nahe am Markt sein.
- Waldwirtschaft (Brennholzproduktion)
- Früher war Brennholz eine wichtige Energiequelle für die Stadt, weshalb Wälder in der Nähe des Marktes benötigt wurden.
- Holz ist schwer und teuer zu transportieren, daher lag die Forstwirtschaft in einem eigenen Ring um die Stadt.
- Getreideanbau und Ackerbau (Extensive Landwirtschaft)
- Weiter außerhalb wird Getreide und anderes haltbares Getreide angebaut.
- Da Getreide leichter transportiert und gelagert werden kann, können sich diese Betriebe weiter vom Markt entfernen.
- Dreifelderwirtschaft und Viehzucht
- Noch weiter vom Markt entfernt ist die extensive Viehzucht.
- Vieh kann sich selbstständig fortbewegen und auf den Weg zum Markt getrieben werden, wodurch die Transportkosten minimiert werden.
- Nomadische Viehwirtschaft und Wildnis
- In den äußersten Gebieten wird nur noch wenig bewirtschaftet, da die Transportkosten zu hoch sind.
- Diese Zone ist oft durch extensive Weidewirtschaft oder Brachland geprägt.
Kernaussagen des Modells
- Die Transportkosten sind der entscheidende Faktor für die Anordnung der Zonen. Je teurer und aufwendiger ein Produkt zu transportieren ist, desto näher liegt es am Markt.
- Die Bodenrente (Pacht) nimmt mit zunehmender Entfernung vom Markt ab, weil die Transportkosten steigen und die Flächen weniger intensiv genutzt werden.
- Das Modell zeigt die Wechselwirkungen zwischen Markt, Produktionskosten und Bodenbewirtschaftung unter idealisierten Bedingungen.
Quellen und weitere Erläuterungen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_von_Thünen
[1a] Bildquelle https://de.wikipedia.org/wiki/
Datei:Thuenen-ringe.png; von C. Breßler, 2004
– https://de.wikipedia.org/wiki/Standorttheorie
[2] Es ist interessant zu wissen, dass haute das nach ihm benannte Thünen-Institut, eine bundeseigene Anstalt des öffentlichen Rechts, im Jahr 2008 gegründet wurde. Diese Institution widmet sich den Bereichen Agrar-, Forst- und Fischereiwissenschaften und verbindet somit aktuelle Forschungsfragen mit dem wissenschaftlichen Erbe von Thünen.
Vollständige Bezeichnung des Thünen-Instituts: „Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei“
– https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_von_Thünen-Institut
[3] Shechem (Sichem) – an die fünfzig mal im alten Testament erwähnt – war eine bedeutende kanaanäische Stadt und ein Zentrum des Handels. Schätzungen gehen zur Zeit der biblischen Patriarchen von 5.000–10.000 Einwohnern aus. Die Stadt besaß schon damals eine massive Stadtmauer, was auf ihre Bedeutung und die damaligen Begehrlichkeiten hindeutet.
Wie waren da die Agrarstrukturen organisiert und über tausende von Jahren stabil geblieben? Die gleiche Frage stellt sich natürlich bei allen prähistorischen Metropolen von Amerika bis Ost-, Zentral- und Westasien und bis hoch zu den Megalithkulturen Europas. Sicher mit unterschiedlicher Frage-Beantwortung, doch jeweils einer näheren Betrachtung wert…
Abraham zog nicht ins Blaue?
Betrachtet man die Nachkommen Abrahams, stellt sich die Frage, ob sie in Kanaan als vollkommen eigenständiges Volk lebten oder ob sie zumindest zeitweise in die Agrarstruktur der Stadtstaaten eingebunden waren. Ein Hinweis darauf findet sich in Josua 21,21: „Sichem und seine Weideplätze auf dem Gebirge Ephraim, ferner Geser (Gezer) und seine Weideplätze …“ – die Weideflächen, die den Städten zugeordnet waren, wurden häufig von den Israeliten bewirtschaftet. Und dies legt nahe, dass sie nicht nur am Rand der städtischen Ordnung existierten, sondern möglicherweise in deren wirtschaftliche Netzwerke integriert waren.
Und was Abraham selbst betrifft? Sein Auszug aus Ur in Chaldäa (Sumer) mag weniger ein Sprung ins Ungewisse gewesen sein, als vielmehr eine Wanderung innerhalb der hochentwickelten Zivilisationen des Fruchtbaren Halbmonds – ein Wechsel von einem bekannten agrarischen Wirtschaftsgefüge in ein anderes. Vielleicht fand er in Kanaan nicht nur eine göttliche Verheißung, sondern auch eine ökonomische Realität vor, die ihm und seinen Nachkommen eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit bot… Ich werde das Thema sich noch einmal detaillierter aufgreifen. 📝
[4] Gemeinfreie Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/
File:Napulus_and_Mount_Gerizim,_Napulus,_Holy_Land,_
(i.e.,_Nablus,_West_Bank)-LCCN2002725043.jpg