Bild oben: Gemälde der Taufe Christi (Baptism of Christ) von Andrea del Verrocchio; 1475, Frührenaissance. Darstellung des Heiligen in korrekter Form einer Kamelhaar-Jacke als praktische Zweckbekleidung und auf der Innenseite weich gefüttert.
Gedanken zum Johannistag
◾ Der 24. Juni ist ein kirchlicher Feiertag, der dem Heiligen Johannes dem Täufer (John the Baptist) gewidmet ist. Johannes war ein Tauf-Prediger, der vor dem Wirken Jesu auftrat und die Menschen guten Willens nach seinen Buß-Predigten im Jordan (nahe des Toten Meeres) mit Wasser taufte. Seine Worte waren klar und unmissverständlich und er konnte (immerhin lange Zeit ungestraft) das herrschende Klientel seiner Zeit auch schon mal als „Schlangenbrut“ bezeichnen und entsprechend beschimpfen, was ihm heutzutage vielleicht eine Hausdurchsuchung wegen Hasskriminalität eingebracht hätte, hätte er seine Predigt gepostet … doch Scherz beiseite [1].
Wer war Johannes der Täufer?
Johannes, den die christliche Kirche später als Propheten verehrte, wurde um das Jahr Null in einer jüdischen priesterlichen Familie geboren (Vater: Zacharias, Mutter: Elisabeth). Elisabeth war eine Verwandte von Maria, der Mutter Jesu, was Johannes zu einem Verwandten Jesu machte. Über das Wirken und den gewaltsamen Tod von Johannes können wir uns leicht im Internet informieren, worauf ich in diesem Blogbeitrag aber nicht weiter eingehen möchte.
Johannes der Asket
Auffällig ist seine Darstellung in der Kirchenkunst und in der christlichen Wissensvermittlung. Es ist in der Regel das Bild von einem asketisch lebenden Mann, der von haarigen Kamelfellen kärglich bedeckt, in der Wüste lebte (die entsprechenden kargen Landschaften in Palästina sind im Winter nachts auch sehr kalt) und sich dort von Heuschrecken und von wildem Honig ernährte. In der bildlichen Darstellung des spanischen Renaissance-Künstlers El Greco (um 1541–1614) haben wir genau diese Vorstellung künstlerisch im Gemälde umgesetzt.
Dieses Bild ist insofern stimmig, da es im Neuen Testament der Bibel so verstanden werden könnte: “Er aber, Johannes, hatte ein Gewand aus Kamelhaaren an und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig.” (Matthäus 3, Vers 4)
Johannes der Autarkist
Ich denke jedoch, dass das Bild, das uns in der Bibel von Johannes gezeigt wird, nur einen symbolischen Charakter aufweist. Ich möchte eine andere Sicht auf diesen Mann vorschlagen. Johannes war wohl weniger ein Asket – vermutlich gar keiner – sondern ein wortgewaltiger autarker Prediger. Wenn ich hier den Begriff des “autarken Predigers” verwende, schließt er eine gewisse Genügsamkeit ein, jedoch in einem anderen Kontext.
Was ist Autarkie?
Der Begriff Autarkie leitet sich vom griechischen autárkeia ab, was so viel wie Selbstgenügsamkeit, Selbstständigkeit, sich selbst versorgend oder noch besser: unabhängig von äußeren Umständen bedeutet. Wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass Johannes Heuschrecken und wilden Honig aß, so ist es falsch, diese als ausschließliche Nahrung anzusehen. Diese Schlussfolgerung ist logisch, da ihm diese Nahrungsquellen nicht zu jeder Jahreszeit zur Verfügung standen. Es kann jedoch metaphorisch ausgedrückt heißen: Johannes ernährte sich autark von der Natur und war deshalb unabhängig von den Menschen. Heuschrecken gelten mancherorts als Delikatesse und Honig ist ebenfalls keine Nahrung, die auf ein streng asketisches Leben hinweist. Johannes genoss durchaus die Früchte der Natur, die sie ihm im Überfluss gab. Er war offensichtlich absolut unabhängig von den Menschen und benötigte deren Luxus nicht. Die Natur gab ihm alles kostenlos; sogar einen gewissen Luxus, den er nicht verschmähte.
Kamelhaarkleidung ist heute ein Luxusgut
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem “Gewand aus Kamelhaaren”.
Übrigens: Wusstest du, dass Kleidung aus Kamelhaar-Wolle heute ein Luxusgut ist? Recherchiere bitte selbst in einer Suchmaschine [3].
Kamelhaar
Kamelhaar-Wolle – der Fachbegriff hierfür ist „Kamelhaar“ (camel hair, camel wool) – bezeichnet die feinen, weichen Unterhaare des Kamels (Camelus bactrianus [4]), die besonders geschätzt werden, weil sie wärmeisolierend und hypoallergen sind. Kamelwolle ist leicht, weich und bietet eine hervorragende Wärmeregulierung. Sie ist feiner und weicher als Schafwolle und mit Kaschmir vergleichbar. Kamelhaar hat zudem die Fähigkeit, Feuchtigkeit aufzunehmen und abzuleiten. Es wirkt ausgleichend auf die Haut, die dadurch weder zu trocken wird, noch zur übermäßigen Schweißbildung neigt. Die Wolle wird in der Regel für luxuriöse Textilien wie Schals, Decken und hochwertige Kleidung verwendet. Beachte aber [4].
Zweckmäßigkeit und Unabhängigkeit
Das Gewand des Johannes, aus Dromedar-Wolle gefertigt, war also eine super-zweckmäßige Kleidung für den auf Autarkie bedachten Menschen. Die Wolle kann im Frühjahr aufgesammelt werden, wenn die Tiere auf natürliche Weise ihr Winterfell abwerfen (?). Die daraus gefertigten Kleidungsstücke sind sehr langlebig und widerstandsfähig gegen Abnutzung.
Für mich ist dies der symbolische Hinweis des biblischen Schreibers, dass der von der Natur reich beschenkte Mensch in einer genügsamen Lebensweise autark gegenüber einer Gesellschaft leben kann, die darauf ausgerichtet ist, jedermann besser in einer gewissen Abhängigkeit zu halten und ihnen vorzugsweise kurzlebige Produkte auszureichen (geplante Obsoleszenz).
Fazit: Unabhängigkeit und Ebenbürtigkeit
Weil Johannes frei von äußeren Umständen war, konnte er seine Berufung wirklich glaubhaft leben [5]. In diesem Punkt scheint er sogar dem Gottessohn Jesus von Nazaret ebenbürtig gewesen zu sein. Deshalb ging auch Jesus zu Johannes und ließ sich im Jordan taufen. Vielleicht – in dieser Ebenbürtigkeit der Autarkie gegenüber den Menschen – ereilte beide auch das gleiche Schicksal.
Interessant wären sicher die theologischen Aspekte dieser Auslegung. Wer weiß, vielleicht gebe ich auch hierzu noch Anstöße – irgendwann.
Quellen und Ergänzungen
[1] Man werte diesen Quellenhinweis bitte als überspitzende Satire, obwohl es eigentlich ein guter Vergleich dafür ist, welcher Sprache sich früher oft Propheten und Starfprediger bedient haben:
Siehe dazu: Bundeskriminalamt; Bundesweites Vorgehen gegen Hasspostings Bundesweites Vorgehen gegen Hasspostings; BKA koordiniert als Zentralstelle den 10. nationalen Aktionstag gegen Hasskriminalität im Netz; Pressemitteilung 6. Juni 2024: „Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sind heute bundesweit mit über 130 Maßnahmen gegen Hass und Hetze im Netz vorgegangen. An dem vom BKA initiierten und koordinierten Aktionstag sind alle Bundesländer beteiligt.Insgesamt wurden im Bundesgebiet mehr als 70 Wohnungen durchsucht und zahlreiche Beschuldigte vernommen.“
https://web.archive.org/web/20240606144649/https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2024/Presse2024/240606_PM_Hasspostings.html
[2] Das Thema der Autarkie (im Sinne, wie hier dargestellt) findet sich ausgearbeitet in unserem „Immerwährender Garten- und Naturkalender: Band Nr. 4“ (ein ideales und preiswertes Verschenk-Buch)
von Gisela und Thomas Jacob: Selbstversorgung ohne Garten
[3] Such mit folgenden Begriffen: Camel Hair Coats (Kamelhaarmäntel), Camel Hair Scarves (Kamelhaarschals), Camel Hair Sweaters (Kamelhaarpullover), Camel Hair Blankets (Kamelhaardecken), Camel Hair Fabric (Kamelhaargewebe), Camel Hair Yarn (Kamelhaar-Wolle)
[4] Dromedar-Haar: Dieses stammt von den einhöckrigen Kamelen (Camelus dromedarius) und ist gröber, als das Baktrische Kamelhaar: Letzteres stammt von den zweihöckrigen Kamelen (Camelus bactrianus) und ist feiner und weicher, daher bevorzugt für hochwertige Textilien. In der römischen Antike gab es allerdings nur die Dromedar-Wolle, was meine These natürlich ein wenig relativiert. Doch möchte ich auch hier in einer etwas überspitzten Form [1] die Thematik voranbringen, da ich den Aspekt der auf Zweckmäßigkeit und Langlebigkeit abgestimmten Kleidung aufmerksam machen will. Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten Hanfkleidung, die heute wohl die bessere Metapher für diese Autarkie-Thematik wäre.
[5] Vermutlich bezog er kein Gehalt für seine Tätigkeit und verfügte über keinerlei Pensionsansprüche oder andre Pfründe, was eine gewisse Authentizität und Glaubwürdigkeit zumindest einschränken könnte.
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[TJ.24.2]