Bild, Botanischer Garten Berlin Dahlem: „In Wind und Sonne“. Die wohl schönste Plastik des Bildhauers Fritz Klimsch (1870–1960). Die Fotos aus dem Jahr 2009 auf dieser vorliegenden URL stelle ich (Thomas Jacob, Urheber) hiermit gern gemeinfrei zur Verfügung.
Eine Querbeet-Recherche
Vor ein paar Tagen veröffentlichte ich in meinem Blog einen Artikel über das Riesenschneeglöckchen und durchforstete daraufhin mein Archiv nach passendem Fotomaterial. Dabei stieß ich auf Aufnahmen von Frühblüher-Wiesen im Botanischen Garten Berlin-Dahlem – einem Meer aus Frühlingsfarben. Einige dieser Bilder fanden ihren Weg in meine Social-Media-Kanäle [1], begleitet von weiteren Impressionen aus diesem Berliner Refugium. Unter anderem veröffentlichte ich eine Aufnahme der Bronzeplastik „In Wind und Sonne“.

Ich meinte mich zu erinnern, bereits einen Artikel über diese Skulptur geschrieben zu haben. Doch eine Suche in meinem Archiv belehrte mich eines Besseren: Ein solcher Text existierte nicht – obwohl ich mich mindestens einmal intensiv mit der Plastik und ihrem Schöpfer, dem deutschen Bildhauer Fritz Klimsch (1870–1960), beschäftigt hatte. Klimsch, selbst aus einer Künstlerfamilie stammend, widmete sich zeitlebens mit Hingabe der weiblichen Aktfigur – darunter auch dieser.
Klimsch, Klimt und die weibliche Form
Meine damalige Recherche zu Fritz Klimsch verlief allerdings nicht geradlinig. Über eine Assoziationskette und eine gewisse Namensähnlichkeit gelangte ich zunächst zu Gustav Klimt (1862–1918), dem Maler des Jugendstils, dessen Verhältnis zu Frauen allerdings etwas speziell und legendär war. Klimt, so die hartnäckige Legende, verband mit seinen zahlreichen weiblichen Modellen weit mehr als bloße künstlerische Bewunderung. Gerüchte und indirekte Belege lassen vermuten, dass er mindestens 14 uneheliche Kinder gezeugt haben soll – ein Kunst-Werk von beachtlichem Umfang, wenngleich auf einem anderen Gebiet als der Malerei.

Interessanterweise teilt Klimsch mit Klimt die Faszination für die weibliche Gestalt – doch ihre künstlerischen Zugänge könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Klimt seine Frauen in goldverzierte Sinnlichkeit tauchte, begegnete Klimsch seinen Skulpturen mit einer klassizistisch-idealisierenden Distanz. Seine Werke – etwa Die Hockende, Die Schauende oder Galatea – zeugen von einer tiefen Auseinandersetzung mit der weiblichen Form als Verkörperung von Anmut, Harmonie und zeitloser Schönheit.
Klimsch selbst sah seine Inspiration in der griechischen Antike. Seine Hinwendung zur weiblichen Figur entsprang offenbar weniger einer persönlichen Leidenschaft als vielmehr einer ästhetischen Idee. Dies spiegelt sich auch in seinem Privatleben wider: Seit 1894 mit Irma Lauter verheiratet und gemeinsam vier Kinder, führten sie eher ein zurückgezogenes, bürgerliches Leben – insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Künstler mit seiner Familie in den Schwarzwald zog. Sein Sohn und Biograf Uli Klimsch beschreibt ihn als Künstler, dessen wahre Liebe stets der Bildhauerei galt.
In Wind und Sonne – eine Skulptur im Einklang mit der Natur
Doch zurück zur Bronzeplastik. Diese 1936 geschaffene Skulptur trägt den Geist einer Epoche in sich, die uns heute ziemlich fremd geworden ist und in welcher der Mensch noch unbefangen als Teil der Natur und im Konsens mit ihr begriffen wurde. Wind, Sonne, Klima und Landschaft waren nicht bloß Kulisse, sondern elementare Kräfte – mal schützend, mal herausfordernd, stets aber in einem existenziellen Dialog mit dem Menschen.

Diese Gedankenverbindung kommt nicht von ungefähr, womit ich noch auf eine ganz andere Recherche kommen möchte. Bei meiner letzten Arbeit über das sehr spezielle Gartenthema Mischkulturanbau von Butterbohne und Zucchini – stieß ich auf eine bemerkenswerte Publikation: Ein kleines gartenbauliches Heft von A.G. Wirth aus dem Jahr 1946 (3. Auflage); eine Publikation, die sich das sich eigentlich ausschließlich mit dem Mischkulturanbau beschäftigt.
Auf den ersten Blick scheint es wenig mit unserem Kunst-Thema zu tun zu haben. Doch umso bemerkenswerter ist, dass der Autor im Vorwort seines Heftchens unerwartet intensiv auf die Problematik des Sonnenmangels moderner Menschen eingeht. Nachdem er im besagten Vorwort wie erwartet die Bedeutung des Selbstversorger-Gartenbaus betont (S. 3–5), verweist er dann aber plötzlich auf die Erkenntnisse des Prof. Dr. Dr. Hellpach (1877–1955) einem bedeutenden Wissenschaftler seiner Zeit. Dieser stellte fest, dass insbesondere die infrarote und noch stärker die ultraviolette Strahlung der Sonne eine heilende Wirkung auf den menschlichen Organismus ausübt.
Vom Sonnenkult zum Schatten der Moderne
Hier spiegelt sich ein Zeitgeist wider, der heute fast diametral zur gegenwärtigen Haltung steht: Damals galt die Sonne als lebensspendende Kraft – heute dominiert vielerorts die Sorge um UV-Strahlung und Hautkrebsrisiken. Dieser Wandel in der Wahrnehmung wirft spannende Fragen auf: Wie veränderte sich unser Verhältnis zur Natur? Welche Konzepte von Gesundheit, Körper und Umwelt haben sich über die Jahrzehnte transformiert?
Besonders faszinierend ist dabei die physiologische und psychische Wirkung von Sonnenlicht, die Gartenbauinspektor A.G. Wirth, wie bereits gesagt, schon 1946 in seinem Gartenheft thematisierte:
„Wir wissen auch, dass die langwelligen, rötlich-gelben Strahlenanteile auf die Sinne erregend wirken, die biochemisch aktiven, kurzwelligen blauen Strahlen jedoch beruhigend. Grün und Blau sind ausgesprochen beruhigende Farben – doch genau diese fehlen in der Stadt umso mehr, je größer und enger sie verbaut ist.
Das Auge des Großstädters wird ständig durch die erregenden Lichtenergien der rötlich-gelben Stadtbeleuchtung getroffen. Damit schwindet größtenteils der biochemische Einfluss des Ultravioletts völlig. [da er durch Glas und trübe Luft absorbiert wird]
Jedermann weiß aus Selbstbeobachtung, dass er sich auf dem Land körperlich frischer und seelisch ruhiger fühlt. Streben wir also danach, dem Stadtmenschen regelmäßige Gelegenheit zu verschaffen, in grün-blauer Umgebung die heilende Kraft des ultravioletten Lichts im wohltuenden Halbschatten [!!!] seines eigenen Gartens zu genießen.“ (siehe dazu [5])
Diese Überlegungen scheinen heute aktueller denn je. Die Stadt verdichtet sich, Grünflächen schwinden, der Mensch entfremdet sich zunehmend von den natürlichen Rhythmen. Und doch: Gibt es ein artgerechtes Leben für den modernen Menschen?

Fritz Klimsch, Gartenstädte und 15-Minuten-Städte
Vielleicht wollte uns sowohl der Künstler Fritz Klimsch als auch der Gärtner A.G. Wirth etwas über die artgerechte Lebensweise des Menschen zeigen – eine Lebensweise, die nicht auf Beton und Asphalt, sondern im Einklang mit Licht, Natur, Freiheit, mit nützlicher Werktätigkeit und in Harmonie stattfindet.
Das idealisierte Menschenbild, das Klimsch in seiner Bronzeplastik zeigt, scheint nicht das eines Großstadtbewohners zu sein. Vielleicht das eines Menschen in einer Gartenstadt, ein Städtemodell, welches damals die düsteren Steinmetropolen ablösen sollte. Zumindest war das die anfängliche Idee.
Doch diese Idee gehört nicht mehr zum Zeitgeist. Stattdessen dominieren heute Konzepte wie die 15-Minuten-Stadt [6]: Verdichtung, kurze Wege, alles in erreichbarer Nähe.
Ein Ort für Wind, Sonne und Freiheit wäre das allerdings nicht. Und für solche Konzepte müssten noch stumpfe, tönerne Skulpturen geschaffen werden…

Ergänzungen
[1] Die Bilder auf X
[2] WIRTH, A. G. (Herausgeber, Gartenbauoberinspektor in Essen); Höchsterträge durch Mischkultur wahlverwandter Gemüsearten (Grundlagen und Fortschritte im Selbstversorger-Gartenbau, Heft 1); Ludwigsburg 1946. (3. Auflage)
[3] Die Bronzeplastik In Wind und Sonne (1936) von Fritz Klimsch zeigt eine stehende weibliche Figur auf einer runden Sockelplatte. Ihr Körper ist leicht gedreht – der Kopf über die rechte Schulter gewandt, die rechte Hand auf der linken Schulter ruhend, während die linke in die Hüfte gestützt ist. Diese Haltung verleiht der Skulptur eine subtile Spannung: scheinbar entspannt, aber voller Bewegung. Sie wirkt, als genieße sie die Sonne und spüre zugleich den Wind – eine Momentaufnahme von Anmut und Natürlichkeit, typisch für Klimschs idealisierte Darstellung des weiblichen Körpers.
[4] bildhauerei-in-berlin.de „In Sonne und Wind“ Beschreibung der Plastik (Web-archive.org)
[5] Angstmeldungen der Jetztzeit:
- Bundesamt für Strahlenschutz; Klimawandel und das Risiko für UV-bedingte Erkrankungen; 10.06.2024 (web.archive.org)
- Pressemitteilung: Barmer-Arztreport 2025 – Hautkrebsdiagnosen explosionsartig auf Vormarsch; Berlin, 6. März 2025 (web.archive.org)
- krebsgesellschaft.de; Sonnenschutz – Was hilft wirklich?; 9.3.2023 (web.archive.org) Hier findet sich aber auch der bemerkenswerte Hinweis: „Zwar wurde in Studien festgestellt, dass Sonnencreme-Benutzer häufiger Hautkrebs bekommen. Das liegt aber vor allem daran, dass sie sich öfter und stärker der Sonne aussetzen als Menschen, die keine Sonnencreme benutzen.“
Übrigens: Früher hieß es „Märzsonne bräunt“ – ein Hinweis darauf, sich schon ab März moderat, aber regelmäßig der milden Sonne auszusetzen. Diese natürliche Bräune bot dann auch einen gewissen Schutz vor Sonnenbrand im Hochsommer. Damals war man sich dieser Zusammenhänge offenbar noch bewusster und setzte sich nicht unkontrolliert der prallen Sommersonne aus. Wenn man sich die heutigen Statistiken zu steigenden Hautkrebsraten ansieht, könnte man fast meinen, dass mit dem Wissen über natürliche Anpassung auch ein Stück gesunder Menschenverstand verloren gegangen ist…
[6] Die 5-Minuten-Stadt: Ein städtebauliches Konzept, bei dem alle wesentlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens – wie Arbeit, Einkauf, Bildung, Gesundheitsversorgung und Freizeit – innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Ziel ist es, die Lebensqualität zu verbessern, den Autoverkehr zu reduzieren und nachhaltige, gemeinschafts-orientierte Stadtstrukturen zu fördern. Das Konzept wurde insbesondere durch den Pariser Bürgermeisterwahlkampf 2020 von Anne Hidalgo populär. Kritiker (wie ich) sehen darin jedoch potenzielle Denkfehler: Die Komprimierung von Dienstleistungen auf engem Raum könnte eine extreme Verdichtung der Bebauung erfordern, was Grünflächen und Wohnqualität einschränken könnte. Zudem wird befürchtet, dass eine zentrale Planung zur Umsetzung des Konzepts die individuelle Wahlfreiheit und Selbstbestimmung der Bewohner durch eine Art planwirtschaftlicher Entmündigung einschränkt. In den 1930er Jahren nannte man so etwas Sozialfaschismus.