Bild: Der Rosengarten der Gartenbau-Schule Yella Hertzkas, 1926. (KI-koloriert)
Die Gartenbauschule von Yella Hertzka*, 1912 in Wien-Grinzing gegründet, war ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenbildung und des Gartenbaus in Österreich. Als erste höhere Gartenbauschule für Mädchen bot sie jungen Frauen eine fundierte Ausbildung in einem Berufsfeld, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest in männlicher Hand war.
Dieser Artikel beleuchtet die Entstehung, die Ziele und die überzeitliche Bedeutung dieser bemerkenswerten Institution – und zeigt dabei auch überraschende ideengeschichtliche Verflechtungen auf.
*Namensgleich, aber unabhängig voneienander: Theodor Hertzkas Freilandbewegung.
Die Gründerin: Yella Hertzka – Pädagogin, Gärtnerin, Frauenrechtlerin
Yella Hertzka (1873–1948), eine der engagiertesten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit, verband ihren pädagogischen Pioniergeist mit einem praktischen Reformwillen. Verheiratet mit dem Musikverleger Emil Hertzka, setzte sie sich leidenschaftlich für die Selbstständigkeit von Frauen ein [1]. Ihr Anliegen war nicht allein die theoretische Bildung, sondern die berufliche Befähigung zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit.

Inspiriert durch die Reformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts – insbesondere durch die Frauenbewegung und deren Ruf nach neuen beruflichen Wegen – gründete sie ihre Gartenbauschule als Antwort auf die gesellschaftlichen Begrenzungen, denen Frauen in technischen und landwirtschaftlichen Berufen ausgesetzt waren.
Und nebenbei bemerkt – als gelernter Gärtner kann ich sagen: An den grundlegenden Strukturen hat sich bis heute wenig geändert. Diese Geschichte zeigt, wie fortschrittlich man vor über hundert Jahren bereits dachte. Heutzutage wird dieser Missstand gerne kaschiert, indem man etwa im modisch-infantilen Sprachduktus ständig von „Gärtner*innen“ fabuliert. Doch letztlich scheint die Gesellschaft weniger an der tatsächlichen wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen interessiert als an der möglichst effizienten Verwertung weiblicher Arbeitskraft. Das ist die Wirklichkeit.
Die Schule in Grinzing: Praxisnah, ganzheitlich, zukunftsweisend
Mit der Eröffnung 1912 in Wien-Grinzing wurde die Schule zur ersten höheren Gartenbauschule für Mädchen in Österreich. Das zweijährige Curriculum umfasste Obst- und Gemüsebau, Blumenzucht, Landschaftsgestaltung, Buchführung und verwandte Fächer. Besonderes Augenmerk lag auf einer praxisnahen Ausbildung, die es den Absolventinnen ermöglichte, eigene landwirtschaftliche Betriebe zu führen oder sich in verwandten Berufsfeldern zu etablieren.
Über das Fachliche hinaus war die Schule auch ein Ort geistiger Begegnung. In enger Verbindung mit der Künstlerkolonie Kaasgraben entwickelte sich ein Milieu des kulturellen und sozialen Austauschs. Hertzka strebte eine Bildung an, die praktische Kompetenz mit Naturverbundenheit, Selbstständigkeit und einem offenen Geist verband.
Zionismus, Jugendalija und landwirtschaftliche Utopien
Eine besondere Rolle spielte die Schule im Kontext der zionistischen Bewegung. Viele Absolventinnen bereiteten sich im Rahmen der sogenannten Jugendalija [2] auf die Auswanderung nach Palästina vor, wo sie ihr erworbenes Wissen beim Aufbau landwirtschaftlicher Siedlungen einbrachten – insbesondere in den frühen Kibbuzim.
Hier offenbart sich bereits ein ideengeschichtliches Moment, das über die biografischen und schulischen Kontexte hinausweist: Die Gartenbauschule diente nicht nur der Emanzipation der Frau, sondern war eingebettet in größere gesellschaftliche Utopien – sei es in Österreich und deutschsprachigen Raum oder im sich formierenden jüdischen Siedlungsprojekt in Palästina.
Weitreichende Querverbindungen: Von der Gartenstadt zur Hachschara nach Palästina
Was zunächst wie ein historisches Detail erscheint, eröffnet bei näherer Betrachtung ein ganzes Netz ideengeschichtlicher Zusammenhänge. Die Bildungsarbeit an Yella Hertzkas Schule war, bewusst oder unbewusst, eng verwandt mit den Konzepten der Gartenstadtbewegung, wie sie etwa von Ebenezer Howard entwickelt wurden.
Diese Bewegung strebte Siedlungsstrukturen an in welche Wohnen, Arbeit und besonders der selbstversorgende Gartenbau von vornherein mit konzipiert ist. Auch in Hertzkas Unterricht fanden sich entsprechende Elemente: Der Garten war nicht nur Arbeitsplatz, sondern Lebensraum und Gestaltungsort.
Spätestens durch die Verbindung mit der Jugendalija und der Vorbereitung auf das Leben in Kibbuzim wird die ideelle Nähe deutlich: Die landwirtschaftlichen Kollektive in Palästina waren nicht nur ökonomisch motiviert, sondern Ausdruck einer sozialistisch-kooperativen Utopie – in der Tradition europäischer Reformkonzepte.

Die Hachschara und das zionistische Ausbildungssystem
Eine weitere ideengeschichtliche Brücke führt zur sogenannten Hachschara der 1920er Jahre [4]. Dieses zionistische Ausbildungsprogramm bereitete jüdische Jugendliche gezielt auf ein Leben in Kibbuzim oder Moschawim vor.
In landwirtschaftlichen Lehrzentren – etwa dem Landwerk Neuendorf in Brandenburg – wurden gärtnerische, handwerkliche und organisatorische Fähigkeiten vermittelt. Auch hier verband sich praktische Arbeit mit einem ethischen Anspruch an Gleichberechtigung, Gemeinschaftsleben und schöpferische Selbstgestaltung.
Die frühen Kibbuzim verbanden Ideen der Selbstversorgung mit pädagogischem und ästhetischem Anspruch – die landschaftsgärtnerische Gestaltung war nicht Beiwerk, sondern Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Der Garten war politisch, gesellschaftlich, ästhetisch – wie bei Hertzka.
Reformbewegung, Krieg und die Macht der Ideen
Die Geschichte von Yella Hertzkas Gartenbauschule, die genannten Querverbindungen zur Gartenstadtbewegung, zur Hachschara und zu den Kibbuzim lassen ein vielschichtiges Bild entstehen: jenes einer heute kaum mehr vorstellbaren Reformdynamik, die vor über hundert Jahren in Mitteleuropa aufbrach. Diese Bewegungen standen für eine Verbindung von Bildung, Natur, Gemeinschaft und Selbstbestimmung – getragen von idealistischer Energie und gesellschaftlicher Vision.
Doch ebenso deutlich tritt hervor, wie die beiden Weltkriege, insbesondere der Zweite, diese Aufbruchsbewegungen zerstörten oder an den Rand drängten. Viele dieser Ideen gingen im Strudel der politischen Radikalisierungen unter oder wurden – nicht selten – von konservativen Kräften bewusst bekämpft.
Ein Plädoyer für vernetztes historisches Denken
Wenn man sich fragt, wie sich diese Reformkonzepte ohne deren Eindämmung durch Kriege und [gezielte] Wirrungen weiterentwickelt hätten, bietet sich duchaus ein Blick auf die späteren Entwicklungen der Kibbuzim und Moschawim in Israel an – sie könnten als lebendige Fortsetzung europäischer Bildungs- und Lebensutopien gelesen werden.
Dieser Artikel versteht sich daher nicht nur als historische Skizze einer bemerkenswerten Frau und ihrer Schule, sondern auch als Einladung zu einem weiter gefassten Blick auf Geschichte: auf Verbindungen zwischen Pädagogik, Landschaft, Utopie und Praxis – und auf das, was aus diesen Ideen geworden ist.
Quellen und Ergänzungen
- JACOB, Thomas; Gartenstädte von Morgen – Die Idee der Gartenstadt und das vergessene Streben nach Autarkie; 8.7.2024; inhortas.de/geschichte-gartenstaedte
- https://de.wikipedia.org/wiki/Yella_Hertzka
- https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Yella_Hertzka (hier auch reichlich Literaturangaben)
- https://www.jewishvirtuallibrary.org/
[1] Die Gartenbauschule wurde weitgehend privat finanziert. Yella Hertzka stammte selbst aus einem wohlhabenden jüdisch-bürgerlichen Elternhaus (geb. Fuchs) und war mit dem erfolgreichen Musikverleger Emil Hertzka verheiratet, der als Direktor der Universal Edition ein bedeutendes Einkommen hatte. Es ist anzunehmen, dass das Startkapital für die Schule aus diesen privaten Mitteln stammte. Zudem war Yella Hertzka gut in der bürgerlichen Frauenbewegung und in jüdisch-liberalen Kreisen Wiens vernetzt, wo sie auch ideelle und punktuell materielle Unterstützung erhalten haben dürfte. Öffentliche Fördermittel sind für die Anfangsjahre nicht dokumentiert.
[2] Die Jugendalija (hebräisch: „Jugend-Alija“) bezeichnet die organisierte Auswanderung jüdischer Jugendlicher nach Palästina, später Israel, im Rahmen der zionistischen Bewegung. Ab den frühen 1920er Jahren, mit einem Höhepunkt in den 1930er Jahren, ermöglichte die Jugend-Alija Tausenden von Jugendlichen, vor allem aus Europa, auch die Flucht vor Antisemitismus und die Teilnahme am Aufbau eines jüdischen Staates. Die Jugendlichen wurden oft in landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten oder speziellen Schulen vorbereitet, um Fähigkeiten für das Leben in Palästina zu erwerben.
[3] https://www.kibbutzvisit.com/listing/kibbutz-nahal-oz/; https://de.wikipedia.org/wiki/Nahal_Oz; siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Nahal_Oz
[4] Die Hachschara (hebräisch: „Vorbereitung“) war ein zionistisches Ausbildungsprogramm, das jüdische Jugendliche in Europa auf die Auswanderung nach Palästina und das Leben in landwirtschaftlichen Siedlungen wie Kibbuzim oder Moschawim vorbereitete. Ab den 1920er Jahren boten Hachschara-Zentren praktische Schulungen in Landwirtschaft, Gartenbau und handwerklichen Fähigkeiten, oft in Verbindung mit der Jugendalija. Institutionen wie Yella Hertzkas Gartenbauschule in Wien (gegründet 1912) spielten eine ähnliche Rolle, indem sie insbesondere Frauen mit gärtnerischen Kenntnissen ausstatteten, die für den Aufbau zionistischer Siedlungen entscheidend waren. Die Hachschara war vor allem in Ländern mit bedeutenden jüdischen Gemeinden und zionistischen Bewegungen aktiv, wobei Deutschland und Polen aufgrund ihrer großen jüdischen Bevölkerung und der intensiven NS-Verfolgung besonders herausragten. Nach 1933 wurde die Hachschara in vielen Ländern zu einem Mittel, um Juden vor der Verfolgung zu retten und ihre Auswanderung zu ermöglichen. Weitere Zentren:
Österreich: In Wien und anderen Regionen gab es Hachschara-Programme, oft in Verbindung mit Institutionen wie Yella Hertzkas Gartenbauschule, die landwirtschaftliche Ausbildung für die Jugendalija anboten.
Polen: Als Land mit einer großen jüdischen Bevölkerung hatte Polen zahlreiche Hachschara-Zentren, insbesondere durch Organisationen wie Hechaluz, die Jugendliche in Landwirtschaft und Handwerk schulten.
Niederlande: Hachschara-Stätten wie das Werkdorp Wieringermeer bereiteten Jugendliche auf die Auswanderung vor, oft auch Flüchtlinge aus Deutschland nach 1933.
Tschechoslowakei: In Städten wie Prag und auf ländlichen Ausbildungsfarmen wurden Hachschara-Programme organisiert, um junge Zionisten auszubilden.
Litauen, Lettland, Rumänien und Ungarn: In diesen Ländern gab es ebenfalls Hachschara-Aktivitäten, wenn auch in kleinerem Umfang, oft durch lokale zionistische Jugendbewegungen.
Bildquellen:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Die_Gartenbauschule_von_Yella_Hertzka_1926_(Rosengarten).jpg
