Bild: Perllauch und Echte Perlzwiebeln im Größenvergleich. Aber eigentlich ist der Perllauch die echte alte „Küchen-Perlzwiebel“. Urheber des Bildmaterials: Thomas Jacob, 2024. Ich stelle alle Bilder dieser Seite gemeinfrei zu Verfügung.
JACOB, Thomas: Die Erzeugung der Perlzwiebel. Fachbeiträge der Jahre 1874–1894. Quellenpublikation und Arbeitspapier, Dohna, 14.11.2023.
🧅 Heute möchte ich erneut die Echte Perlzwiebel (Allium porrum var. sectivum)* und den Perllauch (Allium ampeloprasum var.)* in den Blick nehmen – ein Thema, das mich seit 2023 begleitet. Damals stellte ich eine Quellenstudie (siehe PDF oben) zusammen, die eine spannende wissenschaftliche Debatte des 19. Jahrhunderts zur „Erzeugung der Perlzwiebel“ dokumentiert. Doch merkwürdigerweise verliert sich das Interesse an dieser Fragestellung ab 1894 abrupt.
* Beide Formen werden heute der Gruppe Allium ampeloprasum ampeloprasum Pearl-Onion Group zugeordnet.
Die in der Studie verwendeten Quellen – insbesondere die Online-Quellen – sind unten nochmals gelistet und verlinkt, um die Nachvollziehbarkeit zu erleichtern. Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse findet sich ebenfalls weiter unten.

Meine aktuelle Einschätzung zum Thema Perlzwiebel
In der Quellenstudie ging ich noch davon aus, dass die Diskussion im 19. Jahrhundert die heutige Echte Perlzwiebel (Allium porrum var. sectivum) betraf. Doch diese Annahme halte ich inzwischen für falsch. Es ging dabei vermutlich nicht um die Perlzwiebel, wie wir sie heute kennen.
Viel wahrscheinlicher ist, dass sich die damaligen Debatten auf den Perllauch bezogen – genauer gesagt auf eine Variante von Allium ampeloprasum var. holmense, die heute nur noch als Elefantenknoblauch bekannt ist. Eine vergleichbare Form habe ich in meinem Blogartikel vom 8. Dezember 2024 beschrieben (dort auch Hinweise zu Bezugsquellen).
Diese Einschätzung stützt sich auf eine simple Beobachtung: Die Zwiebelchen der heute definierten Allium porrum var. sectivum sind derart winzig, dass sie in der Küche kaum wirtschaftlich nutzbar wären.
Eine literarische Spur aus dem 18. Jahrhundert
Eine besonders reizvolle zeitgenössische Beschreibung der Perlzwiebel findet sich in einer Reiseerzählung aus der Weimarer Klassik:
Die Perlzwiebel
In des Landjägers Garten sah ich ein artiges Gewächs, das er die Perlzwiebel nannte. Er hatte es aus der Mark [Brandenburg] mitgebracht.
Es ist eine wohlschmeckende Würze für Suppen. Man gibt sie zuletzt zum Rindfleisch, denn sie verkocht leicht.
Um Michaelis [29. September] wird sie gesteckt, das Land soll etwas Sand haben. Um Jacobi [25. Juli] sind sie reif, die besten werden behalten, die kleinsten, nach abgezogener Außenhaut, wieder gesteckt.
Quelle: Johann August Ephraim Goeze: „Sechste Harzreise zum Nutzen und Vergnügen der Jugend“, Leipzig 1788, S. 154. Goeze (1731–1793) war Pastor, Zoologe und vielseitiger Schriftsteller. Diese Beschreibung ist nicht nur eine poetische Momentaufnahme, sondern zugleich eine vollständige Anbauanleitung.

Noch mal auf den Punkt gebracht: Was in der Erzählung geschildert wird, kann unmöglich die heutige Echte Perlzwiebel sein – vielmehr passt die Beschreibung eindeutig zu einer Form des heutigen Perllauchs. Merkwürdig ist nur, dass dieser kaum im Hausgarten Verwendung findet, obwohl er sich äußerst leicht vermehren lässt und nach meinen bisherigen Beobachtungen sowohl ertragreich als auch einfach zu ernten ist. Zwar treiben die kleinen Zwiebelchen nach der Ernte irgendwann grüne Spitzen, doch entwickeln sie sich dann, wenigsten bis Weihnachten, nicht weiter.
Wenn es die Zeit zulässt, werde ich in diesem Jahr Zahlen sowie verschiedene Variationen präsentieren – möglicherweise auch Pflanzgut. Hier folgt nun mein Arbeitspapier:
Hier die Quellenstudie: Die Erzeugung der Perlzwiebel
JACOB, Thomas: Die Erzeugung der Perlzwiebel. Fachbeiträge der Jahre 1874–1894. Quellenpublikation und Arbeitspapier, Dohna, 14.11.2023.
Zusammenfassender Inhalt
Im Zentrum der historischen Diskussion steht die Frage, ob Perlzwiebeln aus der Brut des Porrees entstehen können. Praktiker berichten hier widersprüchliche Erfahrungen:
- Ein Gärtner gibt an, dass überwinterter, abgeschnittener Porree weiterkultiviert zur Ausbildung von Zwiebelchen führt.
- Dr. Eduard Regel sieht Porree und Perlzwiebeln lediglich als Varietäten des Ackerlauchs (Allium ampeloprasum).
- Wilhelm Neubert, Herausgeber des Deutschen Magazins für Garten- und Blumenkunde, betrachtet Perlzwiebel und Porree hingegen als getrennte Arten.
Diese Debatte verdeutlicht, dass es im 19. Jahrhundert erhebliche Unsicherheiten zur Herkunft der Perlzwiebel gab.
Ein zentrales Problem
Die Diskussion fand statt, ohne eine präzise morphologische Beschreibung der Perlzwiebel vorzunehmen. So entstand Verwirrung darüber, ob es sich um eine eigenständige Variante oder um eine Form des Perllauchs handelt.
Weitere Unklarheiten rühren daher, dass nicht immer scharf zwischen dem echten Porree (Allium ampeloprasum ampeloprasum Porrum Group) und dem sogenannten Sommerporree (Allium ampeloprasum ampeloprasum Leek Group) unterschieden wurde. Letzterer ist dem Ackerlauch als Urform von beiden näher als der heutige Kulturporree.
Damit zeigt sich aber auch: Die Spur der Perlzwiebel führt tiefer in die Vergangenheit, als es zunächst scheint – und sie bleibt ein faszinierendes Beispiel für die wechselhafte Geschichte unserer Kulturpflanzen 🤔.


Literatur- und Online-Quellen der oben verlinkten Quellenstudie
[1] Neubert, Wilhelm; Deutsches Magazin für Garten- und Blumenkunde; Jahrgang 1874
https://books.google.de/books?id=y_NIAAAAYAAJ oder:
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=coo.31924078839846&seq=1
[2] Neubert, Wilhelm; Deutsches Magazin für Garten- und Blumenkunde; Jahrgang 1879
https://books.google.de/books?id=JNZIAAAAYAAJ oder:
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=coo.31924078839671&seq=5
[3] Regel, Eduard; Gartenflora (Jahrbuch); Stuttgart 1879
https://archive.org/details/gartenflorazeit281879berl/page/n7/mode/2up
[4] PERRING, WILHELM; Die Abstammung der Perlzwiebel vom Porree; ein Artikel in der Wochenschrift: Praktische Ratgeber im Obst- und Gartenbau. Illustrierte Wochenschrift für Gärtner, Gartenliebhaber und Landwirte, Band 3; Frankfurt (Oder) 1888
(Hier die Hinweise auf die antiken Autoren)
https://books.google.de/books?id=PCJOAAAAYAAJ
[Nebenrecherche: Der Artikel von Perring wurde fünf Jahre später in der, für den alternativen Gartenbau interessanten und vielfach verlegten, Schrift des Chemikers Julius Hensel (1833–1903) wenig verändert übernommen: «Das Leben: seine Grundlagen und die Mittel zu seiner Erhaltung», Leipzig 1890, im Kapitel «Ueber Verwandlungen» Seite 13 ff. Hensel fand nach seinen eigenen Angaben eine pflanzenstärkende Düngung u.a. mit Gesteinsmehl, welche die heimischen Weinstöcke gegen die damals aus Amerika eingeschleppte Reblausplage (Phylloxera) resistent machte. Zudem beschwert er sich in seiner Publikation über den Kunstdünger «von welchem letzteren allein jährlich für viele Millionen Mark aus Amerika bezogen wird». Seine Erkenntnisse wurden allerdings von Politik und Wissenschaft negiert und er endete sein Buch mit: »E pur si muove« (Und sie bewegt sich doch). https://books.google.de/books?id=SD-uczf0a7oC ]
[4a] Im Zusammenhang mit Perrings Artikel, lohnt auch folgende Publikation zu studieren:
Vietz, Ferdinand Bernhard; Abbildungen aller medicinisch-ökonomisch-technologischen Gewächse mit der Beschreibung ihres Nutzens und Gebrauches III Band; Wien 1806
Kapitel: ALLIUM PORRUM, Seite 236 ff (Perllauch S. 241–243)
https://books.google.de/books?id=99efnKPX5DcC
[5] GOETZE, JOHANN AUGUST EPHRAIM; Sechste Harzreise · zum Nutzen und Vergnügen der Jugend · Band 6; Leipzig 1788 https://www.google.de/books/edition/Sechste_Harzreise/HivWieANpT8C
[6] LUCAS, EDUARD & LUCAS, FRIEDRICH; Bibliothek für Landwirtschaft und Gartenbau; I. Der Gemüsebau; Stuttgart 1894 (Erstveröffentlichung 1844/45)
https://www.google.de/books/edition/Der_Gem%C3%BCsebau/LDBCAAAAYAAJ