Bild oben: Gebirgslandschaft; generiertes Symbolbild.
Vorbemerkung
Heute präsentiere ich zunächst eine Seite mit Recherchen, die für den Folgebeitrag bestimmt sind (8.1.2025), wo es um die wenig bekannte Art des Grillens von Schweinen (Carne a Carraxiu, eine Art Grillen in einer Erdgrube) auf Sardinien geht. Sie ist unten im historischen Text recht gut beschrieben. Eine ziemlich aktuelle Publikation in italienischer Sprache findet sich hier.
Ergänzende Recherche: Blue Zone – Langlebigkeit der Sarden durch Fleischverzehr?
Neben den Recherche-Ergebnissen aus der heutigen Zeit bezüglich der Erdofen-Schweine, die sich recht mager darstellen (ich meine die Recherchen), wurde ich wieder einmal in älterer Literatur fündig. In diesem Fall handelt es sich um einen Bericht aus dem Jahr 1823, der von sich aus schon hoch-interessant ist. Daher präsentiere ich diesen Text unten auch separat. Doch ich stieß dabei auch auf interessante Nebeninformationen. Allein schon den ersten Satz des unten wiedergegebenen Buchabschnitts fand ich irgendwie toll: „Nach dem Brot ist Fleisch das Hauptnahrungsmittel der Sarden.“ Das macht mich ein wenig nachdenklich, da dies nach heutigen Maßstäben keine besonders gesunde Art der Ernährung sein soll – besonders wenn man das viel konsumierte Schweinefleisch vor Augen hat, von dem immer wieder die Rede ist.
Nun ist es aber so, dass Sardinien heute (und seit alters her) zu den „Blue Zones“ (blauen Zonen) gehört. Das sind die Gebiete der Erde, wo die Menschen eine auffällig hohe Lebenserwartung und somit Langlebigkeit aufweisen. Kurzum – mit diesem ironischen Hinweis, der ein wenig neugierig machen soll – und es ist nicht die einzige Merkwürdigkeit im folgenden Text, präsentiere ich den gut 200 Jahre alten Textauszug:
„Geschichte, Geographie und Statistik der Insel Sardinien“, von Dr. Ferdinann Hirschelmann, Berlin 1823
HIRSCHELMANN, Dr. Ferdinann; Geschichte, Geographie und Statistik der Insel Sardinien, nebst Schilderung ihrer Alterthümer, natürlichen Erzeugnisse und Bewohner. Nach den neuesten französischen Quellen bearbeitet von Dr. Ferdinand Hirschelmann, ordentl. Lehrer am Berl. Gymnasium zum grauen Kloster.; Berlin 1823; Seite 497 und 498
Die Literatur ist online einsehbar. Man kann sich das Buch als PDF herunterladen.
Textauszug der Seiten 497 und 498
»Nach dem Brot ist Fleisch das Hauptnahrungsmittel der Sarden. Man isst in den Städten Ochsen- und Kuhfleisch, aber niemals wird ein Kalb geschlachtet; in den Dörfern begnügt man sich mit Schöpsen- und Ziegenfleisch. Außerdem werden eine große Menge Schweine verzehrt, und gebratene Spanferkel können fast als ein National-Gericht betrachtet werden.
Die sardischen Hirten, und überhaupt die Landleute, excelliren [zeichnen sich aus] in der Kunst, einen Braten am Spieß, oder unter heißer Asche zu machen. Im ersten Falle bedienen sie sich eines langen eisernen, oder hölzernen Spießes, welches sie, an einem Feuer niederhockend, fleißig umdrehen. Bei der zweiten Methode graben sie ein Loch in die Erde, glätten und reinigen es höchst sorgfältig, belegen den Boden und die Seitenwände mit Zweigen und Blättern, legen nun das Stück Fleisch, und selbst das ganze noch im Fell steckende Tier darauf, und schütten dann die Grube leicht mit Erde zu, worauf sie mehre Stunden ein lebhaftes Feuer unterhalten. Diese Art, das Fleisch zu braten, verdankt ihren Ursprung der Notwendigkeit, in welcher sich die Viehdiebe oft befunden haben mögen, ihre Beute auch während der Zeit, da sie zugerichtet wurde, jeder Nachforschung zu entziehen*. So hat denn mehr als ein Mal der Eigentümer des geraubten Stückes an demselben Feuer gesessen, unter dem sein Schöps [Schaf] schmorte, und nicht geahnt, dass die Leute, welche ihn so freundlich Platz zu nehmen baten, die Diebe waren.
*[ich vermute hier eine Räuberpistole, die heute noch gern erzählt wird]
Man bereitet auf diese Weise nicht nur Schöpse und ganze Schweine, sondern selbst Kälber und junge Kühe zu, und nichts soll an Wohlgeschmack einen solchen Braten übertreffen. Bei festlichen Gelegenheiten sollen die Hirten der gebirgigen Gegenden zuweilen ein Spanferkel in einen ausgeweideten Schöps, diesen wieder in ein Kalb stecken [!], und so die ganze Masse zusammen auf die eben beschriebene Art braten, wozu ein voller Tag gehört.
Den Hirsch, den Damhirsch, das Muffeltier [Europäischer Mufflon] und das wilde Schwein, welche in großer Menge verzehrt werden, bratet man immer am Spieß, und zwar oft gleich auf derselben Stelle, wo sie erlegt sind.
Die Armen, und besonders die Frauen, nähren sich im Frühling und einen Teil des Sommers hindurch von den Strünken der wilden Artischocken, des Fenchels und ähnlicher Gewächse, so wie von dem Fleische der chamoerops humilis [Zwergpalme, Chamaerops humilis].
Die Frucht des Kaktus, unter dem Namen fica morisca [Kaktusfeige] bekannt, trägt ebenfalls zum Unterhalte der Armen während des ganzen Monates September bei.
Die Küche der reicheren Klasse hält das Mittel zwischen der spanischen und italienischen; man trägt gern eine große Anzahl von Schüsseln, und besonders viele Fleischspeisen auf. Die Sarden lieben vorzüglich Fische und Wildbrett, und können diesen Geschmack auch nach Herzenslust befriedigen, da die Märkte der Städte, vor allen der Hauptstadt, bis zum Überfluss damit versehen sind.
Überhaupt sind die Freuden der Tafel diejenigen, welche die Sarden allen anderen vorziehen. Die Ankunft eines Fremden, eine Festlichkeit, das geringste glückliche Ereignis in der Familie, ein schöner Wintertag, alles dieses sind Gelegenheiten, welche man begierig ergreift, um sich recht gütlich zu tun.
Die Sarden sind zwar selten, wenn sie von Tische aufstehen, süßen Weines voll, aber da sie viel essen, so raubt ihnen natürlich das Geschäft des Verdauens täglich mehre Stunden, während welcher es ihnen unmöglich ist, auch nur die geringste Arbeit vorzunehmen.«**
**[Letzteres ist wohl die falsch verstandene Siesta (ital. Riposo pomeridiano), die auch auf Sardinien üblich war.]
Der Text wird weiterhin zeitnah kommentiert
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Und noch ein sehenswertes Video aus dem Jahr 2000:
Zu Tisch in Sardinien – Wie kocht eine Hirtenfamilie? Eine ZDF-Doku aus dem Jahr 2000, die auch schon wieder als historisch angesehen werden darf. Hier finden wir das Alltagsleben sardischer Hirten beschrieben, die wie eine Art Almwirtschaft organisiert ist. Neben der Viehhaltung im den Bergen gibt es im Tal (?) vermutlich einen kleinteiligen Landwirtschaftsbetrieb.
Und eine weitere Dokumentation
„Sardinien – Das Geheimnis des langen Lebens?; 30.05.2019
Im Video wird die Langlebigkeit der Sarden genetisch erklärt und eine „karge“ gesunder Ernährung angeführt: eigenes Gemüse, Schafkäse und Wein. Das landestypische Brot wird ebenfalls erwähnt, was z.B. aus Hartweizen und auch aus alten Getreidesorten gebacken wird. Der Fleischkonsum ist in der Doku gar nicht genannt (!?).
Auch wenn hier Fleisch nicht erwähnt wird, so ist nach heutigen Maßstäben in der oben vorgewiesenen Auflistung der Alkohol (Rot- und Weißwein) nicht gesund und Milch- und Getreideprodukte sollen es auch nicht mehr sein. Ich habe das Gefühl, dass wir auch in diesem Falle auf die vielen schlauen Ratschläge der Gesundheits- und Ernährungsberater pfeifen können…
Neuesten Erkenntnisse der Archäogenetik
Um gleich noch einmal den genetischen Aspekt (oben erwähnt) aufzugreifen. Nach den neuesten Erkenntnissen der Archäogenetik ist belegt, dass die Sarden eine sehr alte Volksgruppe sind, deren genetische Linie weit in die Vergangenheit zurückreicht. Studien haben gezeigt, dass die genetische Zusammensetzung der Sarden über Jahrtausende hinweg relativ stabil geblieben ist. Dies deutet darauf hin, dass die heutigen Sarden in erheblichem Maße von den frühen Siedlern der Insel abstammen, insbesondere von den anatolisch-neolithischen Bauern, die vor etwa 8000 bis 6000 Jahren nach Sardinien kamen!
Das wiederum erinnert mich an eine Studie von:
Gary Webster: Biriai: A Possible Refugee Settlement in Late Third-Millennium bc Sardinia. Journal of Mediterranean Archaeology 34.1 (2021) 3-27, https://doi.org/10.1558/jma.43200
… die von Ingo Bading sehr verständlich auf seinem Blog vorgestellt ist und in gleicher Weise auf YouTube. Die Studie beschäftigt sich mit der Urbevölkerung Sardiniens vor 4500 Jahren, die aus anatolisch-neolithischen Bauern bestand und einer wohlhabenden weitvernetzten Elite-Gesellschaft, die Seehandel betrieb. Interessant ist, dass diese Händler-Elite offensichtlich ein Überrest der sogenannten Megalithiker (Atlanter) waren, die zu jener Zeit auf dem westeuropäischen Festland bereits von Indogermanen verdrängt worden waren. Ähnliches widerfuhr ihnen dann auf Sardinien, als sich vermutlich die Bauern aus dem Landesinneren mit indogermanischen „Söldnern“ gegen sie (es bestand offensichtliches ein Ausbeutungsverhältnis) zur Wehr setzten.
Unabhängig von diesen recht interessanten sozialen Ereignissen jener Zeit, frage ich mich, ob die Megalithiker, die vermutlich aus einer älteren anatolisch-neolithischen Migrationswelle stammen, ihre Kultur der Großstein-Architektur auch deshalb entfalten konnten, weil sie ein verhältnismäßig hohes Lebensalter erreichten. Bei der Weitergabe von Wissen in einer Kultur ohne Schrift ist das ein wichtiger Aspekt. Diese Thematik sollte jedoch in einem separaten Abschnitt weitergeführt werden.
Im Übrigen vermute ich, dass die Megalithiker – zumindest ihre Bautrupps – einen hohen Fleischverzehr benötigten, um die enormen Kalorienmengen für die Bauarbeiten zur Verfügung zu haben. Man denke hierbei an die „Fleischtöpfe der Hebräer“.
PS. Für mich stand bei dieser Recherche natürlich auch die Frage im Raum, ob bei der archaischen Form Schlachtvieh in Erdgruben zu garen, auch der Lauch und Knoblauch ein Rolle spielten. Und auch überall dort, wo die neolithischen Megalithiker in Erscheinung traten, findet sich (so meine Beobachtung) der Lauch. Und siehe da: Der Ackerlauch Allium ampeloprasum findet sich auf Sardinien in verwilderter Form (relativ kleine lila Blütenstände) reichlich. Entsprechendes Bildmaterial ist in Suchmaschinen leicht zu finden.
Weitere Literatur